Österreich : Schutzmaßnahmen und Geschäftsgrundlage: Baurechtsupdate zur Corona-Krise

Dankenswerter Weise versorgt uns die Anwaltskanzlei Wolf Theiss, allen voran unser langjähriger Autor und Top-Baujurist Wolfgang Müller, permanent mit Updates zur Baurechtslage rund um das Coronavirus.

>> Hier zum Rechtsbulletin von gestern, das im Wesentlichen weiter gilt. Ergänzungen und Präzisierungen finden sich in DIESEM Beitrag.

Müller zu den Rahmenbedingungen: "Die zur Eindämmung der "CORONA-Pandemie" erlassenen - und wohl noch zu erlassenden - gesetzlichen Maßnahmen und Einschränkungen für Baustellen erfordern auch von unserer Seite eine ständige Überwachung, Aktualisierung und vertiefende Betrachtung der vertraglichen Auswirkungen und Erfordernisse. Insbesondere um sicherzustellen, dass die aktualisierten und fortentwickelnden grundsätzlichen Handlungsempfehlungen Ihre Interessen bestmöglich verfolgen. Ebenso werden NEUE gesetzliche und bauvertragliche Aspekte beleuchtet, die sich – angesichts der völlig neuartigen Herausforderungen an juristische Mechanismen – erstmals seit wenigen Tagen ergeben. Ebenso werden Klarstellungen und Präzisierungen zu aktuellen Kernthemen in den FOKUS gerückt, die sich teilweise erst infolge unklarer gesetzlicher Vorgaben sowie konkreter Anlassfälle aus der Praxis ergeben."

>> HIER finden Sie unsere komplette Berichterstattung zur Corona-Krise und ihren Konsequenzen für die Bauwirtschaft

Vor wenigen Minuten erreichte uns dazu folgendes Update, in dem der Fokus vor allem auf den Themen Schutzmaßnahmen auf der Baustelle (im Zusammenhang mit dem vorgeschriebenen 1-m-Abstand) und möglichem zeitweiligen Entfall der Geschäftsgrundlage.

Hier das Update:

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NEU: 107. Verordnung – Schutzmaßnahmen auf Baustellen – wie geht das?

Am 19.3.2020 wurde eine neuerliche Verordnung erlassen, mit der die Verordnung gemäß § 2 Z 1 des COVID-19- Maßnahmengesetzes geändert wird. Medienberichten zufolge wurde/wird diese Verordnung womöglich wieder zurückgezogen. Derzeit steht diese jedoch in Geltung. Auf Baustellen darf (und muss) derzeit gearbeitet werden, wenn sichergestellt ist, dass auf der Baustelle zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann, sofern nicht durch entsprechende Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko minimiert werden kann.

Das bedeutet, dass der Sicherheitsabstand auf der Baustelle (vor Ort, am konkreten Ort der jeweiligen Tätigkeit) nur dann eingehalten werden muss, wenn nicht durch entsprechende Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko minimiert werden kann. Das bedeutet, dass Bauleistungen – so dies grundsätzlich baubetrieblich und bauablauftechnisch machbar ist - unter Verwendung von Schutzanzügen, Masken Brillen etc ausgeführt werden dürfen – und müssen! Dies bedeutet zugleich, dass die Leistungserbringung durch behördliche Maßnahmen nicht untersagt ist und die Leistungspflicht – wenn auch allenfalls eingeschränkt/behindert – aufrecht bleibt. Folglich kommen die einschlägigen bauvertraglichen Mechanismen für behinderte Leistungen (Leistungsstörungen) zum Einsatz. Von Seiten des AG wird unverzüglich auch ein aktualisierter SiGe (Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan nach dem BauKG) zur Verfügung zu stellen sein. Für den Arbeitsweg zur Baustelle (außerhalb oder auch innerhalb von Mannschaftsbussen udgl) gilt weiterhin der Sicherheitsabstand von einem Meter. Es gelten derzeit daher – betreffend die Vorgabe "Mindestabstand" – folgende Kategorien für Arbeiten auf der Baustelle:

Kategorie A: Arbeiten vor Ort sind gesetzlich untersagt, wenn

> Mindestabstand nicht sichergestellt und Infektionsrisiko durch entsprechende Schutzmaßnahmen nicht minimiert werden kann

Kategorie B: Arbeiten vor Ort sind gesetzlich nicht untersagt, wenn

> Mindestabstand zwar nicht sichergestellt, jedoch das Infektionsrisiko durch Schutzmaßnahmen minimiert werden kann. Die allenfalls erschwerte/behinderte Leistungserbringung unterliegt dem geltenden bauvertraglichen Procedere (Leistungsstörungen).

FOKUS: AG-Personal / Konsulenten nicht vor Ort – Sphäre?

Infolge zahlreicher konkreter Anfragen, Sachverhaltsschilderungen und Berücksichtigung der jeweiligen Bauverträge ist zur Risiko-Lage beim ABGB-Bauvertrag ("gesetzliche Normallage") folgende Klarstellung und Ergänzung geboten:

Klarstellung: Kann der AG wegen COVID-bedingter behördlicher Maßnahmen/Einschränkungen notwendige Vorleistungen nicht erbringen, so ist dies uE ein Fall höherer Gewalt. Das Risiko für Ereignisse höherer Gewalt trägt nach § 1168 Abs 1 ABGB grundsätzlich der AN. Diese - in diesem Rahmen pauschale - Risikozuweisung zum AN berücksichtigt jedoch nicht die Umstände des Einzelfalls (Sachverhalt) und auch nicht die aus dem Bauvertrag zu interpretierende konkrete Pflichtenlage.

Für den ÖNORMEN-Bauvertrag gilt unverändert > AG trägt das Risiko höherer Gewalt (Folgen aus COVID-Ereignis).

FOKUS: Fällt die Geschäftsgrundlage zeitweilig weg?

Völlig ungeachtet der Frage, welche Seite nun das Risiko der höheren Gewalt zu tragen hat, drängt sich – angesichts der gegenwärtigen und wohl noch einige Zeit anhaltenden COVID-bedingten gesetzlichen Maßnahmen und Einschränkungen für Baustellen – aus rechtlicher Sicht die Frage nach dem Wegfall der Geschäftsgrundlage auf:

Die Rechtsprechung fordert hierfür eine derart grundlegende Veränderung der bei Eingehen der Verpflichtung bestehenden Verhältnisse, dass im Beharren des AG auf Verpflichtungen, deren Erfüllung dem AN nicht zumutbar ist, geradezu ein Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben erblickt werden müsste. Der anerkannte Vertragszweck darf - für den Fall einer begehrten Auflösung des Bauvertrages – aber nicht nur zeitweilig, sondern endgültig unerreichbar sein. Das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage wird eingeschränkt und als letztes Mittel zur Beseitigung vertraglicher Bindungen nur dann angewendet, wenn die geltend gemachte Änderung der Verhältnisse in keiner Weise vorauszusehen war und auch nicht dem Bereich jener Partei zuzuschreiben ist, die sich auf diese Änderung beruft. Nur der Wegfall einer von beiden Parteien gemeinsam dem Vertragsabschluss unterstellten Voraussetzung könnte als Wegfall der Geschäftsgrundlage gewertet werden (RS0017487).

Ob die Geschäftsgrundlage endgültig weggefallen ist und somit die wechselseitigen Leistungspflichten aus dem Bauvertrag enden (beseitigt werden) oder aber (bloß) bis zum Ende der COVID-bedingten baustellenbezogenen Einschränkungen "einfrieren" könnten, ist wiederum anhand des konkreten Bauvertrages und den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Aus dem Gesetz könnte ein solches „Einfrieren“ durch zeitweiliges Fehlen der Geschäftsgrundlage mit einer Analogie zum Mietrecht begründet werden. Dort ergibt sich aus § 1104 ABGB, dass beide Seiten für die Zeit der höheren Gewalt (Seuche) von ihren jeweiligen Verpflichtungen befreit sind (der Mieter vom Mietzins; der Vermieter von der „Gebrauchsüberlassung“). In sinngemäßer Übertragung dieser Regelungen könnte das beim Bauwerkvertrag dazu führen, dass ebenfalls auf beiden Seiten die Pflichten vorübergehend „ruhen“. Es wäre daher uE die Argumentation vertretbar, dass sich – je nach Lage des Einzelfalles - jene Vertragspartei, die das Risiko zu tragen hat, auf dieses Institut berufen kann.

(Das Baurechtsteam von Wolf Theiss verfasste diesen Artikel In wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit o. Univ. - Prof. Dr. Andreas KLETECKA (Salzburg))