Infrastruktur : Schlägt die Neue Seidenstraße jetzt eine transparente Richtung ein?

Wie „Warten auf Godot“ sei das Projekt Neue Seidenstraße mittlerweile. Den Vergleich stellte unlängst Bruno S. Sergi an, Wirtschaftsprofessor und China-Experte an der Harvard University. Ob er damit meint, gemäß Becketts Theaterstück, dass das Warten auf das Mega-Infrastrukturprojekt im Endeffekt völlig sinnlos sein wird, oder doch einfach nur lange dauert, sei dahingestellt. Das Projekt ist mittlerweile jedenfalls sechs Jahre alt und trotzdem noch in den Kinderschuhen – was aber in Anbetracht seiner Größe und langfristigen Ausrichtung auch verzeihbar ist.

Genau diese weite Planung in die Zukunft bewirkt aber besondere Ansprüche an die Akteure. „Während [die Seidenstraße] eine starke langfristige Vision darstellt, ist es wichtig für sie, dass alle Mitstreiter auf chinesischer Seite und aller anderen Länder mit Sorgfalt und einer Verpflichtung zu Ehrlichkeit und Einsichtsvermögen handeln“, so Sergi. Nur wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehen, würde die Neue Seidenstraße – oder BRI, für Belt and Road Initiative – zu einer echten Win-win-Situation.

Warten auf eine Vision

Mit diesem gemeinsamen Strang ist auch der Weg gemeint, den China jüngst beim großen internationalen Forum in Peking zumindest mit Worten einschlug. Hier versuchte der chinesische Präsident Xi Jinping in seiner Keynote, bisherigen Unmut über das Projekt zu beschwichtigen, versprach Transparenz und eine hochqualitative, nachhaltige Infrastruktur zu fairen Kosten. Seine Worte fanden wohl Anklang und Vertrauen, denn laut Xi wurden auf dem Forum – dem auch Österreich beiwohnte – Vereinbarungen im Wert von 64 Milliarden Dollar getroffen. Details wurden aber nicht preisgegeben.

Die Besorgnis, die das Mega-Treffen unter anderem beschwichtigen sollte, kommt aus verschiedenen Ecken, lässt sich aber leicht auf einen gemeinsamen Nenner zusammenfassen: dass China mit dem Projekt seine Weltmacht stärken will. Solche Befürchtungen kommen nicht nur, aber zu einem großen Teil aus Südostasien.

Das zeigt auch eine Anfang dieses Jahres veröffentlichte Studie des ISEAS-Yusof Ishak Instituts, einer Forschungseinrichtung in Singapur. Sie wurde mit über 1.000 Personen aus Politik, Wissenschaft, Unternehmen und den Medien in allen zehn Mitgliedsstaaten der ASEAN, der Vereinigung südostasiatischer Staaten, durchgeführt. Laut der Studie sehen 73 Prozent der Teilnehmer China als den größten wirtschaftlichen Einflussnehmer in der Region an. Gleichzeitig sehen aber weniger als zehn Prozent in China eine „ungefährliche und wohlwollende Macht“. Fast die Hälfte der Befragten glaubt, dass China seinen Einfluss in der südostasiatischen Region ausweiten will. Es verwundert also nicht, wenn sich gerade diese Länder der BRI gegenüber vorsichtig zeigen.

China – eine gefährliche Macht?

Besonders stark ist diese – noch euphemistisch formulierte – Vorsicht in den ASEAN-Mitgliedsstaaten Malaysia, Thailand und den Philippinen. Hier halten es rund 70 Prozent für notwendig, dass ihre Regierungen bei Verhandlungen mit China darauf achten, sich nicht in untilgbare Schulden für die Seidenstraße zu stürzen.

Malaysia hat bereits vergangenen Juli ein 20-Milliarden-Dollar teures Projekt im eigenen Land gestoppt, damals durch die neu gewählte Regierung. Das Hochgeschwindigkeitsbahn-Vorhaben hing größtenteils an chinesischen Geldern und auch das ausführende Bauunternehmen war aus dem Reich der Mitte. „Es ist ein Megaprojekt, das du Megaschulden führen würde“, sagte Malaysias Finanzminister Lim Guan Eng zum Baustopp. Und für viele Länder ist nicht klar, ob sich solche Schulden auszahlen werden. Ein Drittel der Befragten im Rahmen der Singapur-Studie wirft dem Seidenstraßen-Vorhaben mangelnde Transparenz vor. 16 Prozent glauben sogar, es wird scheitern. Die Ergebnisse sollten ein „Weckruf für China“ sein, schreiben die Studienautoren.

Vielleicht war es auch unter anderem diese Studie, die China zu dem Forum im April bewegte, das wie ein Image-Makeover wirkte. In welchem Ausmaß die Versicherungen zu mehr Transparenz und absoluter Fairness auf dem Treffen auch in Wahrheiten umschlagen werden, ist nicht absehbar. Sie würden aber „in die richtige Richtung“ zeigen, so China-Experte Sergi.

„Die Menschen werden immer das Geld nehmen“

Die südostasiatische Vorsicht vor einer Schuldenfalle teilen viele Länder nicht. Seit 2013 haben 125 Länder ihr Mitwirken unterzeichnet, 90 Milliarden Dollar wurden bereits investiert. Für hunderte weitere Milliarden gibt es Versprechungen, manche mehr, manche weniger fixiert. Die Türkei hat am Forum im April nicht teilgenommen und verlautbart, eine Schuldenfalle zu befürchten. In Montenegro ist die Staatsverschuldung durch die Seidenstraße drastisch gestiegen. Hier wird derzeit eine neue Autobahn gebaut, die eine Verbindung zu Serbien darstellt. Für die lokale Wirtschaft kann das Bauprojekt derzeit aber nicht wirklich als Motor gesehen werden – von den 688 Millionen Euro Investitionen gingen bisher 400 Millionen an das chinesische Bauunternehmen CRBC.

Für manche Länder bedeuten Chinas Gelder aber nicht eine von vielen Möglichkeiten – sondern die einzigen Investitionen, die irgendjemand bereit ist zu tätigen. „Wenn die Optionen lauten, Geld zu nehmen oder Geld nicht zu nehmen, dann werden die Menschen immer das Geld nehmen“, sagt Joshua Eisenman von der University of Texas.

China füllt also eine Lücke, die sonst niemand füllt. Das gilt besonders für Schwellenländer. Das bedeutet aber nicht, dass die Win-win-Situation auch wirklich eintreffen wird. Und dann könnte das Warten auf Godot wirklich enden wie im Theaterstück – vergeblich.

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