SOLID 10/2016 : Rabmer-Koller: "KMU-Tests für jedes Gesetz"

© Thomas Topf

Solid: Sowohl Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl als auch Sie als WKO Vizepräsidentin und Vorsitzende im Hauptverband der Sozialversicherungsträger kommen aus der Bauwirtschaft. Prädestiniert die Bauwirtschaft besonders für solche Funktionen? Ulrike Rabmer-Koller: Das ist wahrscheinlich reiner Zufall. Ich finde es einfach wichtig, dass man sich als Unternehmer auch für Verbesserungen der Rahmenbedingungen der eigenen Branche einsetzt. Wenn manche Menschen in politische Funktionen kommen, sagen sie gerne: ich hab das eigentlich nie angestrebt. Wie war und ist das bei Ihnen? Rabmer-Koller: In der Lebensplanung hatte ich es auch nicht. Bei mir hat es in der Gemeinde begonnen. Man hat mich gefragt, ob ich für den Gemeinderat kandidiere. Ich wollte das ursprünglich nicht, weil die Firma gerade sehr stark auf ihrem internationalen Expansionsweg und ich gleichzeitig schwanger mit meinem zweiten Kind war. Man wollte aber unbedingt eine Frau und Unternehmerin auf der Liste haben. Ich habe unter der Prämisse zugestimmt, ganz weit hinten auf dem letzten Platz zu kandidieren. Dann haben mich aber in einer Vorwahl so viele Menschen gewählt, dass ich nicht mehr gut nein sagen konnte.Im Nachhinein bin ich froh darüber, weil ich so gemerkt habe, dass man sehr viel für die Allgemeinheit bewegen kann. Und so kam dann eines zum anderen. Was war das Schönste und was das Wichtigste, das Sie bewegen konnten? Rabmer-Koller: Es sind sehr viele Dinge, die gelungen sind und auf die ich stolz bin. Man darf sich aber nicht auf dem Erreichten ausruhen. Im Moment ist für mich das Wichtigste, dass wir es schaffen, Reformen voranzutreiben und die Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandortes zu erhöhen. Wir brauchen auch wieder mehr Wertschätzung für die Leistung der Unternehmerinnen und Unternehmer. Man hat fast den Eindruck, dass in der allgemeinen Meinung die Arbeitsplätze von der Politik geschaffen werden. Aber es sind die Unternehmer, die das tun. Und die brauchen dazu entsprechende Rahmenbedingungen. Leider sind in den letzten Jahren immer mehr bürokratische Auflagen und Belastungen dazu gekommen. Dies gilt es nun zu stoppen und die Bürokratie abzubauen. Was drückt hier die Unternehmen besonders? Rabmer-Koller: Die Unternehmer leiden immer öfter unter schikanösen Kontrollen und Kumulierung der Strafen. Das führt zu enormen Belastungen und zur Frage: soll man sich unter diesen Bedingungen überhaupt bemühen, zu investieren und zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen? Auf der anderen Seite brauchen wir ja die Sozialversicherungsbeiträge und Steuern, die über die Arbeitsplätze laufen, und wir brauchen die Menschen, die konsumieren. Wie geht sich das aus? Rabmer-Koller: Jeglicher Missbrauch muss natürlich verhindert werden. Es geht auch nicht darum schwarze Schafe zu schützen, sondern um mehr Augenmaß bei der Gesetzgebung und der Umsetzung. Kontrollen dürfen nicht schikanös sein, sondern es muss ein ordentliches Miteinander geben. Die derzeitige Gesetzgebung und Prüfungspraxis ist oft nicht nachvollziehbar, wie das Beispiel eines OÖ Bauunternehmens zeigt. Bei der Anmeldung eines Mitarbeiters gab es Rückfragen durch den Steuerberater und damit kam es zu einer Verspätung bei der Meldung an die GKK von 11 Minuten. Erst Wochen danach wurde bei einer Kontrolle durch die Finanzpolizei die verspätete Anmeldung bemerkt. Obwohl kein Schaden entstanden ist, wurde der Unternehmer zu einer Strafe in Höhe von mehr als 2000 Euro bzw. einer Ersatzstrafe von 146 Stunden Gefängnis verurteilt! Da stimmt die Relation einfach nicht! Können Sie das noch einen Schritt konkretisieren? Weniger Kontrollen? Rabmer-Koller: Nein, aber zielgenauer. Kontrollen müssen dort erfolgen, wo Missbrauch tatsächlich stattfindet, wie z.B. bei ausländischen Firmen, die zu Dumpingpreisen in Österreich anbieten und ihren Mitarbeitern weniger als den Mindestlohn zahlen. Aber wie geht das genau? Rabmer-Koller: Das Lohn- und Sozialdumpinggesetz wurde erlassen, um Lohndumping durch ausländische Firmen zu verhindern. Kontrolliert und oft wegen Kleinigkeiten gestraft werden derzeit aber meist österreichische Unternehmen, da es bei ausländische Firmen keine Möglichkeit gibt, die Strafen einzuheben. Wir brauchen also dringend entsprechende internationale Vereinbarungen, um gegen Lohndumping und Missbrauch von ausländischen Firmen vorgehen zu können. Mit wem brauchen wir die Abkommen? Geht das bilateral oder ist das ein EU-Thema? Rabmer-Koller: Wir brauchen da auf jeden Fall bilaterale Abkommen.

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Sie haben das Thema Mehrfachbestrafung erwähnt - worum geht es da konkret? Rabmer-Koller: Derzeit werden die Strafen für einzelne kleinere Vergehen kumuliert und so entstehen oft unverhältnismäßig hohe Strafen. Da gibt es zum Beispiel einen Fall, zum Thema Arbeitsruhegesetz. Manche Mitarbeiter haben dort statt 30 Minuten Pause nur 29 gestempelt. Jeder Mitarbeiter und jeder einzelne Fall und Tag wurde aufsummiert und bestraft. Am Ende kam dann eine Summe von fast 800.000 Euro heraus. Und solche Beispiele gibt es leider jede Menge, auch bei kleineren Unternehmen. Das würde sich aber im Gegensatz zu vielen anderen Materien relativ leicht mit einem Gesetz oder einer Verordnung in den Griff bekommen lassen, oder? Rabmer-Koller: Wir brauchen hier dringend gesetzliche Änderungen. Wenn jemand bei einem Raubüberfall zehn Ringe stiehlt, wird er ja auch nicht zehnfach bestraft. Viele Dinge wie Fehler in der Lohnverrechnung passieren ja nicht absichtlich - und wenn die sich logischerweise wiederholen und das aufsummiert wird, entsteht ein nicht mehr nachvollziehbares Strafausmaß. So ergeben sich bei Nachzahlungen von 150 oder 200 Euro oft Strafen von über 10.000 Euro! Bei der Vielzahl an Richtlinien und Auflagen kann ein einzelner Unternehmer oft gar nicht mehr alle wissen. Wir sind ein Land der kleinen und mittleren Unternehmen, gerade in der Bauwirtschaft - und für die ist es oft noch schwerer. Da brauchen wir mehr Augenmaß und vor allem das Prinzip "Beraten statt Bestrafen" durch die Behörden. Bleibt das Thema Bürokratieabbau. Welche Auflagen gehören weg? Rabmer-Koller (lacht): Wieviel Zeit haben Sie? Im Endeffekt müssen alle Bereiche durchforstet werden und alle Richtlinien und Gesetze auf ihre Sinnhaftigkeit geprüft werden. Es muss nicht wirklich alles bis ins kleinste Detail geregelt werden, wir brauchen auch nicht für alles ein Gesetz. Haben Sie da ein quantitatives Ziel? Rabmer-Koller: Vizekanzler Mitterlehner hat ein Bürokratieabbaupaket zugesagt. Da sollte eine Vielzahl von Maßnahmen enthalten sein, die eine spürbare Erleichterung bringen. Ich hoffe, dass wir im Herbst die ersten Ergebnisse sehen. Wie sehen Sie persönlich die Wertigkeit der Bauwirtschaft im gesamten Wirtschaftsgeschehen Österreichs? Rabmer-Koller: Die Bauwirtschaft ist ein ganz wichtiger Wirtschaftsfaktor, sowohl von der Wertschöpfung als, auch von der Mitarbeiteranzahl her. Nach einigen herausfordernden Jahren gehen die Prognosen jetzt wieder nach oben. Wichtig ist, dass in Zukunft neben den privaten Auftraggebern und Firmenkunden nun auch die öffentliche Hand wieder investiert. Ich denke, wir können durchaus wieder optimistisch in die Zukunft blicken. Aber ohne Investitionen der öffentlichen Hand geht es sicher nicht. In welchem Bereich sehen Sie diese Investitionen vor allem? Rabmer-Koller: Wenn ich zum Beispiel an den Tätigkeitsbereich meiner eigenen Firma denke, gibt es zB im Wasser- und Abwasserbereich viel zu tun. Alleine in der laufenden Instandhaltung der unterirdisch verlegten Rohre und Schächte liegt ein großes Volumen und da ist in den vergangenen Jahren viel zu wenig passiert. Aber natürlich sind Straßenbau und Wohnbau riesige Hebel, sowohl was Neubau als auch, was Sanierung betrifft. Wie geht es Ihrer eigenen Firma eigentlich? Wie oft sind Sie dort? Rabmer-Koller: Ich bin Montag und Freitag im Unternehmen, dazwischen in Wien oder Brüssel - aber mit Laptop, Tablet und Smartphone bin ich überall erreichbar. Meine Mitarbeiter sind wirklich top und so kann ich mich zu 100 % verlassen. Ich habe das Unternehmen in mehrere kleinere Einheiten geteilt, die operativ von Prokuristen geführt werden. Ich konzentriere mich auf die Strategie, Key Accounts und Neugeschäftentwicklung. Wir sind vom Hochbau über Kommunaltechnik bis zur Umwelttechnik tätig und verbinden Tradition mit Innovation. Die Themen "Energie aus Abwasser", Wasser- und Energieeffizienz oder Schachtsanierungen sind zum Beispiel derzeit sehr spannend, auch bei unseren internationalen Aktivitäten mit Partnern z.B. Deutschland, Spanien, aber auch Mexiko. Sie sind seit heuer auf europäischer Ebene auch im Sinne der KMUs unterwegs. Was ist da Ihr Hauptziel? Rabmer-Koller: Da geht es vor allem darum, dass in allen Bereichen die Anliegen der KMUs stärker berücksichtigt werden. KMUs sind das Rückgrat der europäischen Wirtschaft und brauchen bessere Rahmenbedingungen sowie eine lautere Stimme in Europa. Derzeit werden die meisten Gesetze unter dem Gesichtspunkt von großen Unternehmen gemacht, die dann oft eine enorme Belastung bzw. bürokratische Bürde für KMUs bedeuten. Ziel ist, dass in allen Bereichen das Prinzip "Think Small First" umgesetzt und jedes neue Gesetz einem "KMU-Test" unterzogen wird. Wir haben hier vier große Themen: den besseren Zugang zu Finanzierung und zu Fachkräften, den Bürokratieabbau und die Digitalisierung. Zur Person:Ulrike Rabmer-Koller (geb. 6. August 1966 in Linz) studierte BWL in Linz. Nach Abschluss und zwei Jahren Auslandstätigkeit trat sie als kaufmännische Leiterin in das Familienunternehmen Rabmer ein, übernahm 2002 die Geschäftsführung und ist seit 2011 alleinige Eigentümerin.Rabmer-Koller war in zahlreichen Funktionen in der Wirtschaftskammer tätig, von 2003 bis 2015 als Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer Oberösterreich und seit 2015 als Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer Österreich. Seit 2015 ist sie auch Vorstandsvorsitzende im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger. Seit 2016 ist sie Präsidentin des Europäischen Handwerks- und KMU-Verbandes UEAPME (Union Européenne de l’Artisanat et des Petites et Moyennes Entreprises). Zuvor war sie von 2011 bis 2015 Vizepräsidentin des Verbandes.Rabmer-Koller ist verheiratet und Mutter zweier Kinder.