Vergaberecht & Coronavirus : Öffentliche Vergaben in Zeiten von Covid-19

Öffentliche Ausschreibungen finden in allen Bereichen nach wie vor statt. Seit Mitte März haben sich weder die Art noch die Anzahl der täglichen Ausschreibung wesentlich verändert. Auch die zwischenzeitliche Verwirrung um Fristenhemmungen hat sich nach einer "Gesetzes-Reparatur" aufgelöst. Aktuell gelten im Vergabebereich daher die "normalen" Regeln:

· Ausschreibungen können in allen Bereichen regulär durchgeführt werden;

· Teilnahme- und Angebotsfristen sind nicht (automatisch) gehemmt;

· Stillhaltefristen UND Anfechtungsfristen laufen ebenso (wieder) regulär, Auftraggeber können idR zehn Tage nach Zuschlagsentscheidung rechtskräftig den Zuschlag erteilen;

· Vergabenachprüfungsverfahren durch die Verwaltungsgerichte werden regulär eingeleitet, auch einstweilige Verfügungen werden wie üblich erlassen.

Die Vergabeverfahren finden dennoch unter ungewöhnlichen Bedingungen statt. Dass der Ablauf meist trotzdem gut funktioniert, liegt auch daran, dass die E-Vergabe inzwischen flächendeckend verbreitet ist; auch im Unterschwellenbereich, wo dies an sich nicht verpflichtend ist. Öffentliche Angebotsöffnungen odgl, sind so weitgehend obsolet. Zu Problemen kommt es gelegentlich bei Verhandlungsverfahren oder Ausschreibungen mit Hearings und Verhandlungsgesprächen. In den meisten Fällen schaffen hier aber Videokonferenzen gut Abhilfe.

Was zu beachten ist

Um Vergaben in den kommenden Monaten gut abzuwickeln und langsam zu einem Normalmodus zurückzukehren, sind Auftraggeber und Bieter gleichermaßen gefordert. Folgende Themen verdienen dabei besondere Beachtung:

Umgang mit Fristen

Das Fristenthema klingt banal, ist in der Praxis aber wichtig. Gerade bei Angebotsfristen sollten die gesetzlichen Mindestfristen jetzt nicht ausgereizt werden. Auch in "Normalzeiten" gilt, dass die Fristen jedenfalls angemessen sein müssen. In der aktuellen Lage wird das vielfach bedeuten: länger als das gesetzliche Minimum. Dieses ist eine absolute Untergrenze, die unter üblichen Bedingungen als angemessen gilt. Gegenwärtig herrschen aber keine üblichen Bedingungen.

Fristen im Vergabeverfahren legen die Auftraggeber fest, Bieter sollten sich aber nicht "in ihr Schicksal ergeben". Es ist anzuraten, Auftraggeber (zB in Bieterfragen) auf zu kurze Fristen aufmerksam zu machen. Dabei sollte nicht zu lange gewartet werden, denn nur wenn etwa eine Angebotsfrist noch nicht abgelaufen ist, kann sie noch verlängert werden. Die Auftraggeberseite reagiert meist durchaus offen auf entsprechende Ersuchen. Die Auftraggeber wurden in einem Rundschreiben des Justizministeriums auch explizit zu einem großzügigen Vorgehen bei Fristen aufgerufen.

Vertragliche Regelungen

Vergabeverfahren münden in einen Vertrag, der die Auftragsabwicklung regelt. Viele Vergaben in den kommenden Monaten werden zu einer Zeit abzuwickeln sein, in der ein normaler Betrieb nicht möglich sein wird. Siehe etwa die Einigung der Sozialpartner für die Abläufe im Baubereich.

Das Vergaberecht lässt Eingriffe in bereits vergebende Aufträge nur sehr begrenzt zu. Es ist daher schon bei der Ausschreibung in den Vertragsunterlagen Vorsorge für die Zeit der Vertragsabwicklung zu treffen. Bisher übliche Standardregelungen (zB die ÖNORM B 2110) lassen für die aktuelle Lage viele Fragen offen. Je genauer vor der Zuschlagserteilung Regelungen im Vertrag für den Umgang mit Leistungsterminen, Pönalen, Mehraufwandsabgeltung etc getroffen werden, desto höher ist die spätere Rechtssicherheit.

Bei schon laufenden Vergabeverfahren kann sich eine Berichtigung lohnen. Bei inhaltlichen Berichtigungen wird dabei allerdings idR eine entsprechende Verlängerung von Teilnahme- bzw Angebotsfristen geboten sein. Bietern sollten sich rechtzeitig proaktiv einbringen und auf wichtige Klarstellungen dringen. Keinesfalls sollte dagegen durch unglücklich formulierte Begleitschreiben und Angebotsergänzungen ein formal ausschreibungswidriges (bedingtes) Angebot produziert und so ein Ausscheiden riskiert werden.

Beachtet werde sollte auch, dass der Leistungsvertrag im Vergabeverfahren zwar erst mit der Zuschlagserteilung zustande kommt, aber inhaltlich bereits mit Ende der Angebotsfrist "eingefroren" wird (dh grundsätzlich unveränderlich wird). In laufenden Vergabeverfahren stammt das Angebot, auf das zugeschlagen wird (also auch dessen Kalkulation) aber uU noch aus der Zeit vor der aktuellen Krise. Wenn dieses Angebot aus Bietersicht nicht mehr haltbar bw umsetzbar erscheint, sollte daher VOR Zuschlagsentscheidung der Kontakt mit dem Auftraggeber gesucht werden. Bei Verhandlungsverfahren kann der Auftraggeber eventuell noch – falls erforderlich – die Ausschreibungsunterlagen anpassen und eine weitere Verhandlungs- und Angebotsrunde durchführen, bei offenen Verfahren bestehen zumindest noch begrenzte Eingriffsmöglichkeiten. Lässt sich gar keine Lösung finden, kann der Auftraggeber das Verfahren grundsätzlich auch widerrufen und anschließend mit adaptierten Ausschreibungsunterlagen und/oder Vertragsbedingungen neu ausschreiben.

Um die erforderliche Liquidität von Unternehmen nicht weiter zu belasten, sollte aus Sicht der öffentlichen Hand auch versucht werden, unnötige Vorfinanzierungen zu vermeiden. Entsprechende Abschlagszahlungen und faire Zahlungspläne helfen gerade Klein- und Mittelbetrieben, sich auch um größere Aufträge zu bewerben.

Ebenso sollten kostspielige Bankgarantien nur dort gefordert werden, wo es unter Risiko-Gesichtspunkten tatsächlich erforderlich ist (gleiches gilt für die Höhe der verlangten Bankgarantien).

Eignungskriterien

Auch bei der Festlegung der Eignungskriterien sollte die aktuelle Lage und – soweit vorhersehbar – deren weitere Entwicklung mitgedacht werden. Dabei ist zu beachten, dass Auftragnehmer ihre Eignung durchgängig aufrechterhalten müssen.

Selbstverständlich müssen Auftraggeber auch derzeit die Mindestanforderungen des Gesetzes beachten. Dabei sollte(n) aber mit "Augenmaß" vorgegangen und überschießende Mindestanforderungen vermieden werden. Problematisch können angesichts der Krise insbesondere Mindestanforderungen zu einer bestimmten Höhe der aktuellen Mitarbeiter-Anzahl (nicht alle Unternehmen können auf Kurz-Arbeit setzen bzw zuwarten, bis der Staat die Lohnkosten anteilig ersetzt), Höhe von geforderten Berufshaftpflicht- und anderen Versicherungen, Qualität von Kredit-Ratings, Qualität von Finanzkennzahlen, Höhe von Mindest-Umsatzzahlen, die das laufende Jahr miteinschließen, Mindestanzahl an Referenzen für das laufende Jahr etc sein.

Auch bei der Eignungsprüfung, etwa im Umgang mit Rückständen am Steuer- oder Sozialversicherungskonto, sollte beachtet werden, dass bei gewährten Stundungen, Ratenzahlungsvereinbarungen udgl kein Eignungsmangel anzunehmen ist. Sogar in einer Insolvenzsituation kann die Eignung unter bestimmten Voraussetzungen fortbestehen. Es liegt im Interesse der öffentlichen Auftraggeber selbst, zu vermeiden, Unternehmen unnötig von öffentlichen Aufträgen auszuschließen.

In Deutschland wurden hier – im Unterschied zu Österreich – zum Schutz der privaten Bieter Regelungen erlassen, die bei Corona-bedingten Problemen (etwa mit der Einholung von Eignungsnachweisen) Abhilfe schaffen sollen. Hier wären der österreichische Gesetzgeber sowie natürlich auch die Regierung noch gefordert (sei es in Form von Gesetzen/Verordnungen oder auch nur in Form von Erlässen), die österreichischen Unternehmen zu schützen bzw den öffentlichen Auftraggebern klare Regeln an die Hand zu geben, wie mit einzelnen problematischen Mindestanforderungen umzugehen ist.

Auswahl- und Zuschlagskriterien – Belohnung für das Durchhalten in der Krise

Immer mehr in Mode kommt bei der Festlegung von Auswahl- und Zuschlagskriterien der Wunsch, einen politisch steuernden Eingriff zu ermöglichen (etwa ein gewünschtes Verhalten oder einfach nur die regionale Zugehörigkeit zu belohnen). Zu denken ist hier an den seitens der Wiener Stadtregierung medial beworbenen "Wien-Bonus", an die Belohnung einer hohen Anzahl an Lehrlingen oder der Belohnung von unter Umweltschutzgesichtspunkten gewünschtem Verhalten.

Bei Auswahlkriterien könnte angesichts Covid-19 folgendes überlegt werden: Wie können Unternehmen, die ihre Mitarbeiter nicht freisetzen, gegenüber solchen, die ihre Mitarbeiter gekündigt haben, bevorzugt werden? Ein möglicher Ausgleich könnte hier über Auswahlkriterien geschaffen werden, etwa in dem das Halten von Mitarbeiten generell oder bestimmten Mitarbeitergruppen (zB Lehrlingen) im Betrieb bei der Auswahlbewertung belohnt wird.

Auch bei Zuschlagskriterien gibt es interessante Ansätze, etwa die Überlegung, Unternehmen zu belohnen, wenn sie für eine öffentlichen Auftrag Arbeitnehmer aus der Kurzarbeit zurückholen.

Rechtsschutz

Auch im Vergaberechtsschutz spielen Fristen eine wichtige Rolle. Die Anfechtungsfristen laufen inzwischen wieder regulär. Zuschlagsentscheidungen, Ausscheidensentscheidungen udgl müssen also idR binnen zehn Tagen bekämpft werden.

Obwohl die Vergabenachprüfungsverfahren grundsätzlich regulär laufen, ist faktisch mit wesentlich längeren Verfahrensdauern zu rechnen. Das liegt daran, dass mündliche Verhandlungen momentan kaum stattfinden und sich bis zu einer Wiederaufnahme der Verhandlungen (allenfalls auch im Videobetrieb) zudem ein gewisser Rückstau gebildet haben wird. Auch ist die Praxis an den Verwaltungsgerichten länderweise nicht einheitlich. Das kann teilweise sehr unangenehm sein, da so durch eine Anfechtung ein Vergabeverfahren sehr lange verzögert wird.

Praxistipps:

§ Verfahrensfristen und Rechtsschutzfristen laufen (wieder) regulär; Insbesondere bei Teilnahme- und Angebotsfristen sind aber Verlängerungen möglich, Bieter sollten im Bedarfsfall auf angemessene Fristverlängerungen hinwirken;

§ Die E-Vergabe bekommt noch stärkere Bedeutung, auch Unternehmen, die sich primär an Unterschwellenausschreibungen beteiligen, sollten hier bei Bedarf nachrüsten (Stichworte E-Signatur, Kapazitäten für Videokonferenzen etc);

§ Bieter sollten Umstände im Auge behalten, die sich auf die Erfüllung von Eignungskriterien auswirken könnten (Bonität, Rückstände bei Finanzamt etc). Bei Problemen keinesfalls den Kopf in den Sand stecken; bei überschießenden Eignungsanforderungen kann auf Berichtigung gedrängt werden, Steuerrückstände können gestundet werden und selbst Insolvenzszenarien müssen nicht zwingend zum Wegfall der Eignung führen.