Baurecht - SOLID 07/2016 : Neue deutsche VOB - und Österreich?

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Deutschland ist mit der neuen VOB seiner Verpflichtung zur Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien – anders als Österreich bisher – nachgekommen (die Umsetzungsfrist ist am 18.4.2016 abgelaufen). Vor allem der adaptierte § 8 VOB/B, der die Kündigungsgründe für Auftraggeber regelt, ist Stein des Anstoßes. Dieser sieht spezifische Kündigungsgründe vor, die ihre Wurzeln im Vergaberecht haben. Dem öffentlichen Auftraggeber kommt demnach nunmehr (auch) in den folgenden Fällen ein (außerordentliches) Kündigungsrecht zu:

wenn der Auftragnehmer aus Anlass der Vergabe eine Abrede getroffen hat, die eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung darstellt;

wenn der Auftragnehmer wegen eines zwingenden Ausschlussgrundes zum Zeitpunkt des Zuschlags nicht hätte beauftragt werden dürfen;

bei wesentlicher Änderung des Vertrages.

Die ersten zwei Kündigungsgründe lassen eine Kündigung aufgrund von Umständen zu, die im Rahmen des Vergabeverfahrens erfolgt bzw vorgelegen sind. Einerseits besteht ein Kündigungsrecht, wenn unzulässige, wettbewerbswidrige Bieterabsprachen stattgefunden haben; andererseits bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes gegen den Auftragnehmer bei Zuschlagserteilung (etwa strafgerichtliche Verurteilungen, Nicht-Zahlung von Steuern und Sozialversicherung, schwere Verfehlungen im Umwelt- oder Arbeitsrecht etc).

Viel Lärm um nichts? Nicht unbedingt!

In diesem Zusammenhang wurde in Deutschland problematisiert, dass Auftraggeber sich auf diese Weise missliebiger Auftragnehmer entledigen könnten. Aus Sicht der Autoren ist diese Gefahr aber recht gering, zumal relativ schwerwiegende Gründe für eine Kündigung vorliegen müssen. Dementsprechend ist es in Österreich gang und gäbe, dass Auftraggeber solche Kündigungsklauseln in ihren Verträgen vorsehen. In einigen dieser Fälle wird nicht einmal ein vertraglicher Kündigungsgrund vorliegen müssen; vielmehr sind die Gründe, die zum Ausschluss aus einem Vergabeverfahren führen, bereits an sich oft derart schwer, dass eine Fortführung des Vertragsverhältnisses unzumutbar ist/wird. Insoweit muss das Zwischenresümee wohl lauten: Viel Lärm um nichts.

Spannender ist die Frage der Kündigung bei einer wesentlichen Vertragsänderung. Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH war schon seit geraumer Zeit klar, dass eine wesentliche Änderung eines Vertrages nach Zuschlagserteilung unzulässig ist und zur Neuausschreibung verpflichtet (außer der Vertrag sieht eine solche Änderungsmöglichkeit vor). Diese Rechtsprechung wurde nun vom Richtlinien-Geber (allerdings etwas großzügiger) verschriftlicht. Spannend ist die Zwickmühle für den Auftraggeber: Einerseits ist er bei einer wesentlichen Änderung des Vertrages verpflichtet, neu auszuschreiben. Gleichzeitig ist er aber an den geschlossenen Vertrag gebunden; das Vergaberecht selbst ist kein zivilrechtlicher Kündigungsgrund.

Exit als Zuckerl für Steuerzahler

Hier ist es daher durchaus sinnvoll, dem Auftraggeber für den Fall einer wesentlichen Vertrags- bzw Auftragsänderung eine "Exit-Möglichkeit" an die Hand zu geben; gerade aus Steuerzahler-Sicht wäre es unerträglich, wenn "der Staat" etwas fertig bauen müsste, das er in dieser Form gar nicht (mehr) benötigt, nur weil er dies einmal ausgeschrieben hat (entsprechend ist auch ein solches Kündigungsrecht in den Verträgen österreichischer Auftraggeber durchaus weitverbreitete Praxis). Gleichzeitig ist es aus Auftragnehmer-Sicht natürlich unbefriedigend, einen sicher geglaubten Auftrag zu verlieren, nur weil der Auftraggeber "auf einmal" wesentlich andere Anforderungen hat. Und statt aufgrund der geänderten Anforderungen einen lukrativen Zusatzauftrag zu erhalten, heißt es "Zurück an den Start" und sich wieder mit anderen Interessenten in einem Vergabeverfahren messen zu müssen. Als "Trostpflaster" bleibt – unter Umständen – einzig eine Schadenersatzforderung gegen den Auftraggeber, sofern er die Änderung schuldhaft nicht vorhergesehen hat. In diesem Sinne besagt auch die deutsche Regelung klar, dass etwaige Schadenersatzansprüche vom Kündigungsrecht unberührt bleiben. Aufgrund dieser Sanktion ist auch hier aus Sicht der Autoren die Befürchtung aus Deutschland, Auftraggeber könnten sich derart unliebsamer Auftragnehmer entledigen, als eher grundlos einzustufen.

Weiters wurde kritisiert, dass die beschriebenen Kündigungsgründe – die aus der Richtlinie stammen – aufgrund der VOB auch im Unterschwellenbereich (in dem die Richtlinien grundsätzlich nicht anwendbar sind) gelten. Dieser Kritikpunkt ist wenig nachvollziehbar: Die Unterscheidung von Unter- und Oberschwellenbereich wird nach der Höhe des Auftragswerts getroffen; entsprechend finden bei niedrigen Auftragswerten einfachere Verfahrensbestimmungen und einfache Bekanntmachungsvorschriften Anwendung.

Zusammenfassend stellen sich durchaus einige interessante Fragen am Schnittpunkt zwischen Vergabe- und Zivil- bzw Vertragsrecht (insbesondere ob bzw. wieviel Zivilrecht das Vergaberecht regeln darf). Die Aufregung in Deutschland ist aus österreichischer Sicht allerdings wenig nachvollziehbar, zumal hier die meisten Auftraggeber (und/oder deren Berater) die genannten Probleme durchaus in der Vertragsgestaltung antizipieren. Ob bzw in welcher Form der österreichische Gesetzgeber diese Kündigungsgründe umsetzt, bleibt abzuwarten.

Zusammenfassung

Die deutsche Vergabe- und Vertragsordnung (VOB) wurde im Rahmen der Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien adaptiert und sieht nunmehr aus dem Vergaberecht resultierende – in der deutschen Baubranche kritisch betrachtete – Kündigungsgründe vor.

Aus österreichischer Sicht sind die Änderungen weniger aufregend: Einerseits stellen die in der VOB genannten Gründe (etwa Bieterabsprachen im Vergabeverfahren; mangelnde Zuverlässigkeit) zumeist ohnehin außerordentliche Kündigungsgründe dar, die auch ohne explizite vertragliche Grundlage geltend gemacht werden können. Zudem sieht der Großteil der österreichischen öffentlichen Auftraggeber solche Kündigungsgründe bereits jetzt in seinen Verträgen vor.

Spannend ist die Kündigungsmöglichkeit bei einer wesentlichen Vertragsänderung laut VOB. Hier soll dem Fall vorgebeugt werden, dass der Auftraggeber aus vergaberechtlicher Sicht kündigen muss (weil die Änderung so weit geht, dass eine Neuausschreibung erforderlich ist), er dies aber zivilrechtlich womöglich nicht darf/kann.