SOLID 10/2020 : „In Summe ein bisschen mehr Unsicherheit“

SOLID: Wie sieht aus Ihrer Sicht die Zwischenbilanz der Tiroler Bauwirtschaft unter COVID-Einfluss aus?

Anton Rieder: Das große Thema ist: Wie können wir kontinuierlich produzieren? Und das macht uns schon zu schaffen. Der Auftragsbestand ist gut, aber die Verschiebungen – die nicht nur mit COVID zu tun haben, dadurch aber verschärft werden – führen immer wieder zu Auslastungslücken. In Summe sind wir aber im Vergleich zu anderen Branchen auf einem relativ guten Niveau, und für 2021 zeichnen sich da und dort größere Bauvorhaben ab.

Sie sagten, Verschiebungen haben nicht nur mit COVID zu tun – wie meinen Sie das?

Rieder: Die Volatilität ist insgesamt größer geworden. Was mich sehr überrascht, ist, dass trotz der insgesamt herausfordernden wirtschaftlichen Situation die Behörden sich nicht immer „kundenfreundlich“ verhalten. In den Verfahren gibt es immer noch sehr viele Formulare, die ausgefüllt werden müssen, Auflagen, die immer mehr werden und Beiräte, die noch beratend hinzugezogen werden. Jede kleine Baustelle verlangt unseren MitarbeiterInnen administrativ sehr viel ab.

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Vor einigen Monaten haben Sie über die Wirtschaftskammer eine Sammelinitiative gegen Verfahrensverzögerungen gestartet. Was ist dabei herausgekommen?

Rieder: Wir haben schon einen gewissen Schub erzeugen können. Der Rückstau bei den alten Verfahren ist mehr oder weniger abgebaut – aber bei den neuen Verfahren läuft es gleich wie immer. Wir werden noch immer im Kreis geschickt.

Mir ist schon klar, dass man nicht nur wegen Corona sagen kann, dass nichts mehr eine Rolle spielt. Aber wir haben uns bei den Behörden ein erhöhtes Engagement erwartet, damit der Wirtschaftskreislauf erhalten bleibt – und den Eindruck habe ich nicht.

Dabei hätten die Gemeinden schon einen gewissen Ermessensspielraum.

Was hören Sie aus den anderen Bundesländern diesbezüglich?

Rieder: Wenig, weil wir unsere Sitzung auch auf November verschieben mussten. Aber ich habe mit dem einen oder anderen gesprochen, und die Stimmung ist allgemein nicht schlecht. In Summe ist aber – und das sehe ich bei uns – ein bisschen mehr Unsicherheit eingekehrt, welche gleich zu einem Preisverfall führt.

Gefahr von Preisverfall genau weshalb?

Rieder: Weil wir sofort wieder ganz wild um jeden Auftrag zu kämpfen beginnen aus Angst, dass morgen nichts nachkommt. Das ist äußerst schnell gegangen. Was wir in den letzten zwei, drei Jahren an etwas besseren Preisen und damit besseren Ergebnissen aufgebaut haben, ist vom Tisch.

Gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Bauherren? Sind private anders als öffentliche?

Rieder: Es ist eher eine Frage der Größe der Bauherren und der Projekte.

Spürt man vom 1-Milliarde-Kommunalpaket der Bundesregierung schon etwas? Als Problem dabei gilt ja, dass die Gemeinden selber 50 Prozent der Investitionssumme für ein Projekt aufbringen müssen, damit der Bund die restlichen 50 zuschießt.

Rieder: Da hat sich zum Glück herausgestellt, dass das nicht Eigenkapital der Kommune sein muss, sondern es durchaus auch fremdfinanziert sein kann. Spüren tun wir das jetzt noch nicht – eben weil es diese Unklarheit gab. Aber das ist ein Thema, das wir nächstes Jahr dann dringend brauchen werden. Investitionsförderung ist in Summe sicher das Sinnvollste!

Was können Sie als Innung tun, um die Situation für die Betriebe zu verbessern?

Rieder: Das Behördenthema ist sicher unser Dauerthema. Manchmal muss man aber auch sagen, dass Einreichunterlagen in sehr schlechtem Zustand sind – und da müssen wir unsere eigenen Mitglieder unterstützen.

Heißt das, dass die Politik da gar nicht so viel machen kann?

Rieder: Das ist ein Henne-Ei-Thema. Wenn in der Gesellschaft keiner mehr Verantwortung übernehmen will, werden eben jede Menge Bestimmungen und Firewalls eingeführt, bis ein Projekt ins Laufen kommt. Da muss vielleicht noch eine massivere Krise kommen, damit sich das einmal ändert.

Ich glaube aber, das wäre mit oder ohne Virus gekommen. Ich hatte nur durch das Virus die Hoffnung, dass man vielleicht von dem einen oder anderen ablässt – aber da geht überhaupt nichts.

Sie haben kürzlich nach Veröffentlichung einer McKinsey-Studie über die Baubranche gemeint, es werde sich Vieles ändern. Wie war das gemeint und was wird sich alles ändern?

Rieder: Die Studie ist natürlich eine globale und gilt in unterschiedlichen Regionen natürlich in unterschiedlicher Ausprägung. Für mich gibt es zwei große Aussagen: erstens muss sich an der Produktivität massiv etwas ändern. Das könnte mit wirklich durchgängigem BIM gehen. McKinsey sieht ein Produktivitätsteigerungspotenzial von 20 bis 25 Prozent. Ob das in der Dimension gelingt, weiß ich nicht, aber 10 wären ja schon gut. Und da spielen digitale Methoden eine zentrale Rolle.

Und das zweite Thema sind Veränderungen in der Wertschöpfungskette. In der Studie wird viel von kompletter Vorfertigung gesprochen – das wird bei uns aufgrund unserer Baukultur und anderer topografischer Bedingungen meiner Meinung nach nur zum Teil kommen – also Bauteile und nicht komplette Bauwerke. Die große Frage ist: was werden da die Kleinen und Mittleren machen? Man muss da vielleicht strategische Kooperationen mit der Baustoffindustrie suchen.

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