SOLID 05/2019 : Geyrhalter: "Man kann sich nicht durch den Berg streicheln"

SOLID: Die zweite Szene in ihrem aktuellen Film „Erde“ spielt beim Bau des Brennerbasistunnels. Warum gerade dort und gab es auch andere Zugänge zum Tiefbau?

Nikolaus Geyrhalter: Wir haben für den gesamten Film weltweit Superlative gesucht – große Baustellen wie auch im San Fernando Valley in Kalifornien, große Minen, große Gebiete, in denen mit und in der Erde gearbeitet wird. Es war dann fast ein Zufall, dass dieser riesige Tunnel gerade in Österreich gebaut wird.

Es gibt drei Einstellungen in der Brenner-Sequenz: die Sprengung und die Interviews mit den beiden an der Baustelle Beschäftigten Svyatoslav Babyuk und Marina Zanetti.

Geyrhalter: Für mich sind es zwei Geschichten, die parallel erzählt werden. Das eine ist die Tunnelbohrmaschine, das andere ist der Sprengvortrieb. Eine Sprengung ist natürlich im Kino sehr attraktiv, aber auch etwas Gewaltvolles – das sagt auch ein Protagonist an einer anderen Stelle des Films in Spanien. Am Ende hat man einen schönen Tunnel, aber man kann sich nicht durch den Berg streicheln.

Was war ihr überwiegender Eindruck?

Geyrhalter: Im Grunde ist es überall das Gleiche. Der Mensch macht, was er kann. Ob das ein Tunnel ist oder der Ölsandabbau und ob das eine moralisch besser ist als das andere, ist offen. Wenn sie verschiedene Leute fragen, werden sie verschiedene Antworten kriegen. Und die Menschheit wird nie einen Schritt zurück machen.

Beim Tunnel ist es ja gerade beim Brenner so, dass der Tunnel Verkehr von der Autobahn weg bringt und den Verkehr dadurch ökologischer macht, oder?

Geyrhalter: Wenn es am Schluss auch so funktioniert, wovon ich ausgehe, dann ja. Prinzipiell ist es ja so, dass nicht jede Episode in dem Film Kritik ist. Mir ging es darum darzustellen, wozu der Mensch in der Lage ist. Welche Maschinen baut er, um das umzusetzen? Diese Ingenieurskunst ist ja etwas sehr Faszinierendes und trotzdem ist es gut, das manchmal mit Abstand zu betrachten. Aber es gibt keine Schuldzuweisungen und schon gar nicht den Menschen gegenüber, die da die Maschinen bedienen.

In der ersten Episode in Kalifornien sagt einer der Interviewten: das ist wie in einer großen Sandkiste mit Baggern spielen. Wie sehen sie das?

Geyrhalter: Ich kann das nachvollziehen. Ich selber weiß auch, wie man Bagger fährt und mache das auch gelegentlich – natürlich mit einem kleineren Gerät. Als ich das erste Mal in die unberührte Erde hinein gegraben habe, hab ich mich schon gefragt: darf man das überhaupt? Nach zwei Tagen lässt das nach und dann hat man sich auch schon daran gewöhnt, überhaupt wenn dann wieder eine Wiese drüber gewachsen ist.

Haben sie selber das Gefühl gehabt, im Brennertunnel der Erdgeschichte näher zu sein?

Geyrhalter: Nicht nur dort und ich fand das extrem faszinierend.

Zur Person

Nikolaus Geyrhalter (geb. 1972), der bei seinen Filmen immer selbst die Kamera führt, ist bekannt für seine ganz persönliche filmische Handschrift. Kommentarlos lässt er Menschen und Räume wirken und gibt dem Publikum so Interpretationsfreiraum. „Fast jede Art der zusätzlichen Information ist für Geyrhalter irrelevant oder noch schlimmer - und dies in einer Ära, in der Dokumentarfilme oft so didaktisch anmuten wie PowerPoint-Präsentationen.“ schreibt Rob Nelson von der Village Voice in New York.[2] Zu Geyrhalters bekanntesten Werken gehören Pripyat, Elsewhere, Unser Täglich Brot und Abendland.

Sein Film „Erde“ läuft aktuell in Programmkinos in Österreich.