Österreich, EU : Gespaltene Reaktionen auf Entsenderichtlinie

Millionen entsandter Arbeitnehmer in der EU sollen künftig besser bezahlt und geschützt werden. Die EU-Staaten billigten in der Nacht zum Dienstag mehrheitlich schärfere Regeln gegen Lohn- und Sozialdumping in einer neuen Entsenderichtlinie - allerdings gegen die Stimmen von Staaten wie Polen und Ungarn und gegen den Protest der Wirtschaft.

In Österreich gab es Kritik von der Gewerkschaft Bau-Holz. Es werde zum Großteil nur das ohnehin gültige EU-Recht festgeschrieben und es gebe zu viele Kann- und zu wenige Muss-Bestimmungen. "Das ist zu wenig und nicht das Gelbe vom Ei", wird der Bundesvorsitzender Josef Muchitsch in einer Aussendung zitiert. In Österreich dauerten nur zwei Prozent der Entsendungen länger als ein Jahr. Aus seiner Sicht müsse auch die Sozialversicherung ab dem ersten Tag im Zielland entrichtet werden. Gleicher Lohn ab dem ersten Tag sei ohnehin schon längst EU-Recht.

Heftige Kritik gab es aus Deutschland von Arbeitgeberseite. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall sprach von einem "schwarzen Tag für den Binnenmarkt und die vier Grundfreiheiten in der EU". Es handle sich um "reinen Protektionismus", sagte Hauptgeschäftsführer Oliver Zander. Die Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft beklagte "zusätzliche bürokratische Belastungen" für die Unternehmen - diese müssten zudem "über die Mindestlöhne hinausgehende Entgeltregelungen beachten". Das bedeute für eine Vielzahl an Unternehmen, dass Mitarbeiterentsendungen "enorm verteuert" würden.

Auch die NEOS finden, das Gleichgewicht zwischen dem freien Dienstleistungsverkehr und Arbeitnehmerschutz sei nicht erreicht worden. "Der Fokus soll auf der Bekämpfung illegaler Praktiken und der Umsetzung bereits bestehender Vorschriften liegen - anstatt neue Vorschriften zu schaffen, die dem freien Dienstleistungsverkehr schaden", schreibt NEOS-Europaabgeordnete Angelika Mlinar. Es geht um rund zwei Millionen EU-Bürger, die von Firmen ihres Heimatlandes in einen anderen Mitgliedstaat zum Arbeiten entsandt werden. Meist kommen sie aus Ländern mit niedrigeren Löhnen und Sozialbeiträgen in wohlhabendere EU-Länder und erledigen dort vergleichsweise preiswert Aufträge.

Die Entsenderichtlinie von 1996 garantiert ihnen Mindestlöhne und einige Vorgaben zum Arbeitsschutz. Doch beklagen Gewerkschafter, die Regeln seien so löchrig, dass die Menschen ausgebeutet und Sozialstandards in Ländern wie Deutschland oder Frankreich untergraben würden. Tatsächlich verdienen Entsandte nach Angaben der EU-Kommission häufig nur halb so viel wie heimische Arbeitnehmer.

Der Kompromiss der EU-Länder folgt nun dem Grundprinzip: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am selben Ort. Künftig sollen Entsandte auch ortsübliche Zulagen, Prämien oder Schlechtwettergeld bekommen. Dabei gilt aber nach Angaben aus dem deutschen Arbeitsministerium immer die für die Arbeitnehmer günstigere Variante. Wer aus Deutschland nach Bulgarien entsandt wird, muss nicht mit den dort geringeren Löhnen vorlieb nehmen. "Man verliert nichts, wenn man ins Ausland geht", erläuterte eine Ministeriumssprecherin.

Die EU-Länder waren sich mehrheitlich auch einig, dass Entsendungen in der Regel nicht länger als zwölf Monate dauern sollen, in Ausnahmen 18 Monate. Die Zwölfmonatsfrist war Frankreich besonders wichtig, wo Lohndumping im Wahlkampf im Frühjahr ein heißes Thema war. Präsident Emmanuel Macron lobte die Einigung der Sozialminister auf Twitter auch sofort überschwänglich.

Streitpunkt waren bis zuletzt Ausnahmen für das Transportgewerbe, also Lastwagenfahrer auf dem Weg durch Europa. Nun bleiben sie zunächst von der Reform ausgenommen und sollen eigene Regeln bekommen. Polen wollte solche Ausnahmen, stimmte aber nach Auskunft einer Sprecherin letztlich gegen die Vereinbarung, weil die Formulierungen nicht weit genug gingen. Auch Ungarn, Litauen und Lettland trugen den Kompromiss nicht mit.

DGB-Vorstand Annelie Buntenbach kritisierte andererseits, dass der Kompromiss der EU-Minister bei weitem nicht so günstig für Beschäftigte ausfalle wie ein Entwurf des Europaparlaments. Vor allem die Ausnahmen für den Verkehrssektor sind Gewerkschaftern ein Dorn im Auge.

Kritiker beider Seiten setzen nun auf die Verhandlungen zwischen den EU-Ländern und dem Parlament, bei dem die unterschiedlichen Reformentwürfe abgeglichen werden. Sie sollen im November anfangen. (APA)

© Michael Hetzmannseder