Österreich : Doppelbestrafungs-Gutachten: hält nicht besser

Bei einem Kärntner Bauunternehmen war im Rahmen einer Finanzprüfung ein „roter Ordner“ vorgefunden worden, der Schriftstücke enthielt, welche den Verdacht von Preisabsprachen entstehen ließen. Über 60 Unternehmen und über 200 Personen wurden damals verdächtigt; zwischenzeitig sind diese Zahlen noch sehr gestiegen. Rechtsanwalt Peter Zach von der Kanzlei BZT, die seit Jahren die Firma Hitthaller & Trixl vertritt: „Der Grundsatz „ne bis in idem“ bedeutet, dass grundsätzlich niemand wegen der gleichen Straftat doppelt (also von zwei verschiedenen Behörden oder Gerichten) verfolgt oder gar bestraft werden darf. Dieser Grundsatz war auch ein wesentliches Thema in den Teambesprechungen. Professor Gerhard Dannecker (Universität Heidelberg), ein ausgewiesener Experte für europäisches und internationales Strafrecht, hat unsere Bedenken gegen eine doppelte Verfolgung der betroffenen Bauunternehmen einerseits seitens der Strafverfolgungsbehörden und andererseits durch die Wettbewerbsbehörde als jedenfalls nachvollziehbar erkannt und sich bereit erklärt, gutachterlich diesbezüglich tätig zu werden.“

Dieser Artikel entstammt der Zeitschrift SOLID - Wirtschaft & Technik am Bau 05/2021 - hier zum ePaper!

Sowohl die Bedeutung der gegenständlichen Frage als auch die Ausführlichkeit der Untersuchung, deren Gründlichkeit und schließlich auch der Umfang des Gutachtens waren so groß, dass sich eine Veröffentlichung geradezu aufdrängte. Seit Ende Jänner liegt also die Monografie „Ne bis in idem und das Verbot straf- und kartellrechtlicher Parallelverfahren“ erschienen im NWV vor.

Die entscheidende Erkenntnis Danneckers ist: Wenn bereits eine Verfolgung durch Staatsanwaltschaften und Strafgerichte gegeben ist, ist nicht noch zusätzlich - also doppelt - eine Verfolgung (oder gar Bestrafung) nach dem Wettbewerbsrecht zulässig.

Gegen zwei Verfahren spricht eindeutig der Grundsatz „ne bis in idem“ - also dass niemand wegen derselben Tat zweimal verfolgt oder gar bestraft werden darf. Zwei (Straf-)Verfahren dürfen weder parallel noch nacheinander geführt werden. Es gibt zwar des Öfteren wegen desselben Sachverhalts mehrere Verfahren. So ist z.B. wegen der Ansprüche des Opfers einer Straftat ein zivilrechtlicher Anspruch gegeben und in einem zivilrechtlichen Verfahren durchzusetzen (wenn das nicht schon das Strafgericht im Rahmen des Privatbeteiligtenzuspruchs dem Opfer die entsprechende Entschädigung zuerkennt). Auch kommt es dazu, dass neben Strafverfahren auch disziplinarrechtliche Verfahren zu führen sind. Derartige Verfahren sind jedoch keine Strafverfahren, sondern erfließen aus dem Beschäftigungsverhältnis und sind damit kein zusätzlicher Anspruch des Staates, also keine doppelte Verfolgung durch diesen. Im Rahmen der gegenständlichen Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft nach dem VbVG und nach den Kartellvorschriften handelt es sich aber um zwei (Straf-)Verfahren, in denen Unternehmen – doppelt durch den Staat – verfolgt werden.

Anwalt Zach: „Hitthaller und das Juristenteam sind überzeugt, dass das gegen die ersten vier der zahlreichen Baufirmen bereits anhängige Kartellverfahren nicht weiterzuführen ist. Es wird der Europäische Gerichtshof um eine Vorabentscheidung zum österreichischen Spezifikum, dass neben einer strafgerichtlichen Verfolgung auch noch doppelt eine Verfolgung nach Wettbewerbsrecht möglich wäre, zu ersuchen sein.Nach unserer Überzeugung sollte letztlich festgestellt werden, dass es nicht zulässig ist, ein Unternehmen wegen desselben Vorwurfs doppelt oder mehrfach zu verfolgen oder gar doppelt oder mehrfach zu bestrafen.“

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„Ne bis in idem und das Verbot straf- und kartellrechtlicher Parallelverfahren“ ist erschienen im NWV. www.nwv.at

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