Bautechnik : Die Flut ausgesperrt: Hochwasser-Schutzsysteme in der Wachau

Zuerst erschienen in SOLID 10 / 2012

Der Sommer vor zehn Jahren wird den meisten Österreichern in Erinnerung bleiben: Im Juli 2002 überflutete ein Jahrhunderthochwasser weite Teile des Landes. Allein in Niederösterreich waren 15 der 21 Bezirke betroffen. Für viele Gemeinden an der Donau gibt es jährlich Hochwasser, doch eine Zerstörung dieses Ausmaßes gab es noch nie.

Eine jener Gemeinden, die besonders betroffen waren, ist Spitz an der Donau – wegen der landschaftlichen Schönheit Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Der malerische Ort im Herzen der Wachau liegt zwischen Melk und Krems direkt am linken Donauufer, vom Fluss nur durch die B3 Donaustraße getrennt. Im Juli des Jahres 2002 veränderte sich das Ortsbild: Das Wasser stieg 3,5 Meter über das normale Niveau und überflutete eine Fläche von 225.000 m2 und 193 Gebäude bis ins erste Obergeschoss.

2002 fiel daher in vielen Gemeinden die Grundsatzentscheidung: Man muss gegen die Fluten bauen. Trotzdem dauerte es in Spitz bis zum Beginn der Bauarbeiten ganze acht Jahre. Das hat zwei Gründe – zum einen die Finanzierung, zum anderen das äußere Erscheinungsbild. Obwohl zahlreiche Bewohner von Spitz praktisch jährlich vom Hochwasser betroffen sind, war der Widerstand nicht nur unter lokalen Touristikern groß, sondern auch unter Landschaftsschützern: Eine meterhohe Mauer hätte das gesamte Ortsbild zerstört.

Betonmauer plus Aluminiumstützen

An der Lösung war das Büro Retter und Partner Ziviltechniker aus Krems maßgeblich beteiligt. Für das Projekt in Spitz zeichnet der geschäftsführende Gesellschafter Reinhard Joksch von Retter und Partner verantwortlich. Das Konzept: Eine etwa 90 cm über den Boden ragende Sockelmauer aus Beton und ein mobiles Hochwasserschutzsystem aus Aluminium des deutschen Herstellers IBS.

Dabei kann die Sockelmauer aus Beton „normale“ Hochwasser abhalten. Droht ein besonders großes Hochwasser, schraubt eine Mannschaft, etwa von der Freiwilligen Feuerwehr, mobile Stützen aus Aluminium auf die Sockelmauer. In diese Stützen kommen Dammbalken hinein. Das Ergebnis ist ein Schutzsystem, das im Fall von Spitz 13 ha Bauland und über 190 Gebäude vor dem nächsten Hochwasser bewahrt – und bei Sonnenschein wieder zum großen Teil verschwindet. So bleibt in Spitz und in den Nachbargemeinden mit vergleichbaren Systemen die freie Sicht auf die Donau erhalten.

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Eines der größten Systeme der Wachau:

950 Stützen und zehn Meter tiefe Pfähle aus Stahlbeton >>

Das Bauvorhaben wurde im Jänner 2010 an die Kremser Niederlassung der Teerag-Asdag, an die Porr und die Porr Technobau und Umwelt vergeben. Die Bewehrungsstahl- Arbeiten übernahm der Artstettener Betrieb C. Hameseder Armierungs-Bau.

Im März 2010 fuhren die Bagger auf – im Dezember 2011 war das neue Hochwasserschutzsystem einsatzbereit. „Die Anlage in Spitz ist das zweitgrößte mobile Hochwasserschutzsystem in der Wachau“, so Reinhard Joksch gegenüber SOLID bei einer Besichtigung des Bauwerks. Das größte steht mit einer Länge von 3,1 km im benachbarten Weißenkirchen.

Zweitgrößtes mobiles System der Wachau

In Spitz ist die Sockelmauer zusammen mit knapp stationären Mauerteilen von 300 m rund 2,6 km lang. Das Mobilsystem besteht aus rund 950 Stützen und rund 6.700 Dammbalken, die Mobilfläche beläuft sich auf knapp 5.000 m2. Das Gewicht der mobilen Elemente, das Helfer im Notfall aufbauen und nach oben wuchten müssen, beträgt insgesamt 235 t. Allein in die Sockelmauer wurden 11.500 m3 Beton und 8000 t Bewehrung verbaut.

Das Bauwerk ist nach unten statisch mit Bohrpfählen aus Stahlbeton abgesichert, die alle 3 bis 4 m und bis zu einer Tiefe von 10 m errichtet wurden. Zwischen den Bohrpfählen wurden mit einem Düsenstrahlverfahren Hochdruckbodenvermörtelungs-Lamellen (HDBV-Lamellen) eingebaut.

Problem Grundwasser

Doch die Mauer und die mobilen Stützelemente sind nicht alles. Eine weitere Schwierigkeit beim Hochwasser: Zeitgleich mit der Donau steigt auch das Grundwasser, das ebenfalls Bauwerke gefährden kann. Eine mögliche Lösung wäre hier, die Seite des Flussufers einfach mit einer wasserundurchlässigen Trennwand vom angrenzenden Erdreich abzuschneiden.

Das Problem dabei wäre freilich, dass das Grundwasser mit dem Donauwasser „kommunizieren muss“, wie Joksch erklärt. Das hätte Auswirkungen auf das Regenwasser, das Trinkwasser und würde nicht zuletzt wohl kaum eine Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen.

Stattdessen haben die beteiligten Baufirmen Polder errichtet und den Untergrund mittels Hochdruckbodenvermörtelung abgedichtet – allerdings nicht vollständig. Sonst wäre die „Kommunikation mit dem Vorfluter auf Dauer unterbrochen“, heißt es bei der Porr in einer Dokumentation des Projekts. „Das bedeutet aber umgekehrt, dass das Donauhochwasser in den Untergrund eindringt und es zu einer aufsteigenden Grundwasserströmung hinter den Hochwasserschutzmaßnahmen kommt.“

Vier Pumpanlagen von der Größe eines Einfamilienhauses

Die Lösung: Der Bau einer Druckentlastung, wobei das Grundwasser entlang der Mauer mit einer Drainageleitung gefasst und anschließend abgepumpt wird. Und das wiederum machte die Errichtung von vier Pumpwerken erforderlich.

Die Anlagen von der Größe eines Einfamilienhauses in das Landschaftsbild einzufügen, war ebenfalls eine wesentliche Aufgabe für die Planer. Die technische Seite der Kraftwerke: eine maximale Förderleistung von 3.650 l/s und eine Gesamtleistung von 750 kW. Die Pumpstationen sind in Form von unterirdischen Schachtbauwerken mit frei aufgestellten Schaltkästen ausgeführt. Als Pumpen wurden trockenlaufsichere Tauchmotorpumpen in stationärer Nassaufstellung gewählt.

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Wie versteckt man drei Kilometer Betonmauer? >>

Seit diesem Jahr ist Spitz also offiziell „hochwassersicher“ – doch bis dahin war es ein langer Weg. Die Finanzierung war nur ein Punkt: Seit 2002 wurden in Niederösterreich 570 Mio. Euro in Hochwasserschutzprojekte investiert. 270 Bauprojekte sind inzwischen fertig. Weitere 110 Projekte seien im Bau, so Landeshauptmann Erwin Pröll bei der Eröffnung der Anlage in Spitz. Sie kostete letztlich 27,6 Mio. Euro, davon 4,5 Mio. für die mobilen Elemente.

Betonieren am Ufer eines Weltkulturerbes

Für die Gestaltung der Anlage war maßgeblich der Kremser Ziviltechniker Thomas Tauber verantwortlich. Weil Spitz vom Tourismus lebt und Teil des Weltkulturerbes ist, wurde den Planungen ein Gestaltungsgremium zur Seite gestellt, und zwar aus Repräsentanten des Bundesdenkmalamtes, der Bundesministerien und der Vertretung des Unesco -Weltkulturerbes in Österreich, Icomos.

Das habe die Entscheidungsprozesse nicht gerade vereinfacht, so Tauber: „Das Hauptthema war immer die Höhe der Mauer. Unsere Aufgabe war die ästhetische und technische Lösung des Problems, während das Gremium wollte, dass die Landschaft am besten komplett unberührt bleibt und die Mauer unsichtbar. Aber wie wollen Sie drei km Betonmauer verstecken?“

Der Trick der Landschaftsplaner

Die Landschaftsplaner wendeten daher einen Trick an: Der Treppelweg direkt am Wasser, auf dem früher Pferde die Schiffe flussaufwärts gezogen haben, wurde um 40 bis 50 cm angehoben und dient heute als Uferpromenade oder als Begrenzung zur B3. Der erwünschte Nebeneffekt: Die eigentlich wuchtige Sockelmauer wirkt heute sehr viel kleiner als sie eigentlich ist.

Für die Mauer wie für die 1600 m2 große Halle, in der die Mobilelemente lagern, kam für die Planer nur ein Baustoff in Frage. „Bei der Halle wollte ich keine Blechhütte, sondern einen Bau komplett aus Beton, der massiv ist, Schutz bietet und sich oben begrünen lässt“, sagt Tauber. „Außerdem hat Beton durch das Schalungsbild eine Oberflächengestaltung, die besser ins Ortsbild passt als andere Baustoffe.“

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Von Peter Martens

SOLID Printausgabe 10 / 2012