Deutschland : Deutsche Wirtschaft wackelt - und das sagen die Volkswirte dazu

Handelskonflikte und eine schwächere Weltkonjunktur haben die exportabhängige deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal schrumpfen lassen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) fiel von April bis Juni um 0,1 Prozent zum Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch nach vorläufigen Berechnungen mitteilte. In ersten Reaktionen sagten Experten:

ALEXANDER KRÜGER, BANKHAUS LAMPE:

"Der Rezessionsspuk wird realer. Aktuell ist die Wirtschaftsleistung zwar nur leicht geschrumpft, seit einem Jahr tritt sie aber bereits auf der Stelle. Handelsstreit, Brexit und zyklische Abschwächung haben wachstumsseitig aus dem einstigen Musterknaben ein Sorgenkind gemacht. Für das Sommerhalbjahr riecht es sehr nach einer technischen Rezession. Auch wegen der hohen Zollrisiken ist die Schwelle zur klassischen Rezession niedrig."

KLAUS BORGER, KFW:

"Mit den eskalierenden Handelskonflikten der USA, dem immer wahrscheinlicheren Chaos-Brexit und der schwächelnden Weltwirtschaft hat sich seit dem Sommer vergangenen Jahres der perfekte Sturm zusammengebraut. Erst hat die exportabhängige deutsche Volkswirtschaft dadurch zunehmend Schlagseite bekommen, nun droht sie in schwerer See ganz zu kentern. Nach der heute gemeldeten Schrumpfung um 0,1 Prozent im zweiten Quartal steht die Tür zumindest zu einer technischen Rezession – zwei negative Quartale in Folge – ganz weit offen."

UWE BURKERT, LBBW-CHEFVOLKSWIRT:

"Die immer noch robuste Entwicklung am Arbeitsmarkt bleibt zwar angesichts ihrer stabilisierenden Wirkung auf den privaten Konsum ein Stützpfeiler. Auch dessen Kraft scheint jedoch sukzessive nachzulassen, wie die Daten der zurückliegenden Monate andeuten. Geht man nach den Warnsignalen, welche fortlaufend seitens der Frühindikatoren ausgesandt werden, ist im dritten Quartal keine Besserung in Sicht und eine technische Rezession in Deutschland somit greifbar. Unter Finanzmarktexperten erscheint dies ausweislich der gestern veröffentlichten ZEW-Umfrage für August bereits unausweichlich."

ANDREAS REES, UNICREDIT:

"Fakt ist: Die deutsche Wirtschaft kommt seit einem Jahr nur noch im Kriechgang vorwärts. Für die zweite Jahreshälfte 2019 und auch für das nächste Jahr gibt es viele Unsicherheiten für die deutschen Exporteure, die sich kaum prognostizieren lassen. Neben dem Brexit ist das vor allem der Handelsstreit USA/China und mögliche US-Zölle auf europäische Autos. Die Binnenwirtschaft dürfte weiter wachsen, aber an Tempo nachlassen. Die wirtschaftliche Schwäche kommt allmählich am Arbeitsmarkt an, was sich auch auf den Konsum dämpfend auswirken wird. Das Risiko einer leichten technischen Rezession, d.h. ein erneutes Schrumpfen im dritten Quartal 2019, ist gestiegen. Das signalisieren die jüngsten Unternehmensumfragen. Für eine solche Prognose ist es aber noch zu früh. Viele der politischen Risiken lassen sich derzeit kaum abschätzen."

DIHK-HAUPTGESCHÄFTSFÜHRER MARTIN WANSLEBEN:

"Nach dem guten Jahreseinstieg sind die Unternehmen in der harten konjunkturellen Realität angekommen. Dabei ist derzeit keine Wende in Sicht. In der DIHK-Konjunkturumfrage berichten die Betriebe von einem deutlich verdunkelten Ausblick. Die Geschäftserwartungen gehen in allen Branchen zurück. Die Erwartungen an das Auslandsgeschäft sind so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr. Die internationalen Handelskonflikte, Unsicherheiten in zentralen Regionen der Ölversorgung sowie ein noch immer ungelöster Brexit hinterlassen deutliche Spuren. Umso wichtiger ist es jetzt, die Probleme im Inland anzupacken. Die Unternehmen geraten am Standort Deutschland wegen der Belastung mit Steuern und Bürokratie immer mehr unter Druck. Während der Durchschnitt der Steuerbelastung für Unternehmen in den westlichen Industrieländern bei rund 24 Prozent liegt, zahlen Personen- und Kapitalgesellschaften hierzulande rund 30 Prozent Unternehmenssteuern – teilweise sogar noch mehr. Wenn wir hier nicht gegensteuern, wird die deutsche Wirtschaft bei nachlassender Konjunktur regelrecht in die Zange genommen."

MITTELSTANDSPRÄSIDENT MARIO OHOVEN:

"Die harte Landung der Konjunktur ist hausgemacht. Natürlich beeinträchtigen Handelsstreitigkeiten, der Brexit und die digitale Transformation die Exporttätigkeit. Der wesentliche Grund für die drohende Rezession liegt aber in der falschen Prioritätensetzung der Bundesregierung. Statt endlich die notwendigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen zu treffen, um das Schlimmste zu verhindern, wird über neue Steuern und die Grundrente diskutiert. Daher fordern wir das Sofortprogramm Investitionsimpulse mit einer Reduzierung der Arbeitslosenbeiträge, einem Freibetrag bei der Bemessung der Sozialabgabe, kürzeren Abschreibungsfristen, einer Senkung des Körperschaftsteuersatzes auf 14 Prozent sowie einer vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Mit diesen Maßnahmen wird der Wirtschaftsstandort Deutschland wieder attraktiv für Investoren aus dem In- und Ausland."

SEBASTIAN DULLIEN, DIREKTOR IMK:

"Deutschlands Konjunktur steht auf der Kippe. Wir hatten – wie die anderen führenden Wirtschaftsforschungsinstitute – bislang damit gerechnet, dass es im zweiten Halbjahr zu einer raschen Erholung der Wirtschaft und insbesondere der Industrie kommen würde. Die Chancen für ein solches Positiv-Szenario sind nun deutlich gesunken. Die deutsche Industrie schwächelt bereits seit einem Jahr, vor allem wegen globaler Unsicherheiten. Bislang hat die Inlandskonjunktur – vor allem der starke Konsum und die Bau-Nachfrage – die deutsche Wirtschaft vor einer Rezession bewahrt. Zuletzt aber war der Rückgang der Produktion im Verarbeitenden Gewerbe so stark, dass es immer fraglicher wird, ob eine Rezession noch vermieden werden kann." (APA)