SOLID-Talk am 21. 11. 2013 : Der Sinn des Dämmens - IM FILM

Günther Nussbaum: Die größten Gegner der Dämmstoffe kommen aus dem Bereich des Gebäudealtbestands. Man sagt, das alte Haus hätte die letzten drei Jahrhunderte auch ohne Dämmung ausgehalten. Dämmt man es nun, so „saufen" die Wände „ab" und der Schimmel kommt ... Wie sieht es aber tatsächlich aus? Dämmen wir nicht, weil es unwirtschaftlich ist - oder lebt es sich schlechter im alten Haus?

Johannes Sima: Es ist nichts gegen Dämmung einzuwenden, vielmehr ist es einfach nicht möglich, etwas zu dämmen, wenn die Erhaltung der historischen Oberfläche dem Denkmalschutz obliegt. Dies wird wohl verständlich, wenn man z. B. von Schönbrunn oder vom Stephansdom spricht. Allerdings haben wir Probleme mit Objekten der Klassischen Moderne bzw. allgemein mit Bauten der Siebziger Jahre - gerade hier besteht die Gefahr der Abplatzung des Betons bzw. im Fall der Dämmung würde die Bewehrung noch stärker rosten. Der Wert der Gründerzeithäuser bzw. der historischen Gebäude, ist schon hinsichtlich der damaligen Lohnkosten heute gar nicht mehr erreichbar.

Nussbaum: Die Bewohner des Gebäudes haben aber wenig davon, wenn sie ständig mit dem Schimmel kämpfen. Was sagt man bei Hausverstand.Com zum nachträglichen Dämmen?

Winfried Schuh: Gerade in Wien haben wir sehr viele erhaltene Gründerzeithäuser. Nach mehr als einem Jahrhundert müssen diese Häuser nun wieder auf einen zeitgemäßen Stand gebracht werden, damit sie uns letztendlich nicht krank machen. Das Standard-Gründerzeithaus wird auf Dauer auf dem Immobilienmarkt nicht konkurrenzfähig sein, denn es muss ja bezahlbar sein. Hausverstand.Com zeigt Konzepte auf, wie so etwas funktioniert - allein in Wien haben wir mehr als 500 Gründerzeithäuser bewertet, also über den Ansatz eines Energieausweises ein Sanierungskonzept mitgeliefert. Mit einfachen Mitteln wäre jedenfalls der Heizwärmebedarf zu zehnteln.

Dämmen alleine ist nicht die Lösung - da bin ich mit dem Kollegen Sima völlig einig. Selbst der Energieausweis wird kontrovers diskutiert. Die Anlagenverluste mit einem klassischen Gründerzeithaus mit 25 alten Gasthermen - die Hälfte heizt man über den Schornstein hinaus - hat derzeit noch niemand durchschaut. Und natürlich provoziert man Schimmelschäden, wenn man alte Fenster durch neue Kunststofffenster ersetzt.

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Clemens Hecht: Mit unserem ETHOUSE-Award zeigen wir seit inzwischen sechs Jahren, dass energetische Sanierungen attraktiv sein können. Letztendlich ist das einfache Ersetzen der Fenster, ohne nach links und nach rechts zu schauen, nicht zeitgemäß. Es geht um die komplexe und ganzheitliche Betrachtung der Situation - Pauschalierungen bringen nichts. Es müssen also immer mehr die Aufgaben der Planer bedacht werden - die Rolle der Verarbeiters allein darf nicht zählen. Wir werden regelmäßig damit konfrontiert, dass bestimmte technische Maßnahmen gar nicht geplant werden. Das Motto „Die Notiz auf dem Plan wird auf der Baustelle vor Ort geklärt" kann zu Katastrophen führen. Wir sind grundsätzlich in der Lage, auf den Mond zu fliegen, dort auch eine Runde spazieren zu gehen, danach in die Rakete zu steigen und wieder auf die Erde zu gelangen. Andererseits sind wir nicht in der Lage, ein Bestandsgebäude so zu sanieren, dass man darin schadensfrei und gesund leben kann ...

Nussbaum: Aber beim Mondflug gibt es keine Amortationsrechnung. Wenn wir mit Styroporplatten an die Wände gehen, steht die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund. Dann kommt es dazu, dass wir die guten alten Kastenfenster herausreißen und durch Kunststofffenster ersetzen. Die Frage muss also lauten: Wann dämmen wir ein Haus und wann rechnet es sich? In einer sehr bekannten Studie des Fraunhofer-Instituts steht: Nach der thermischen Sanierung wird 90 % weniger an Energie verbraucht. Das erwartet sich auch der Hausinhaber und der ist dann furchtbar enttäuscht, wenn er diese 15 oder 20 Kilowattstunden anstatt 120 nicht erreicht. Bei einer Dämmmaßnahme ist also die Wirtschaftlichkeitsberechnung nicht unbedingt in den Vordergrund zu stellen, ebenso wenig wie die Erhöhung des U-Wertes eines Gebäudes. Vielmehr geht es auch um Behaglichkeit, Gebäudewert und Nachhaltigkeit.

Hecht: Grundsätzlich lohnt sich Dämmen sehr wohl. Der Energieausweis als solcher kann nichts dafür - wenn ich mir ansehe, für welches finanzielle Volumen ich den Energieausweis für mein Gebäude am Markt erhalten kann, brauche ich nicht zu erwarten, dass die Berechnung richtig ist.

Nussbaum: Aber der Energieausweis erweckt die Erwartung des Käufers auf Korrektheit.

Sima: Wenn ich den Energieausweis mit dem Durchschnittsverbrauch eines PKW vergleiche, sagt das nicht aus, wie schnell ich damit fahre. In der Denkmalpflege ist das große Problem, dass ich die Parameter für den Energieausweis nicht einsetzen kann. Da geht es nicht um falsch rechnen, sondern ich weiß nicht, wie ein Mischmauerwerk, das 500 Jahre alt und vierfach aufgedoppelt wurde, aufgebaut ist und welche Werte es hat. Bei Bestandbauten wird man in den seltensten Fällen die Realität abbilden können.Das Problem beim Dämmen liegt auch nicht „nur" im Formalen, sondern - wie Kollege Hecht auch schon gesagt hat - etwa bei zu starken Innendämmungen bzw. zu starken Holzdecken. In den Einreichplänen finden wir 15 bis 17 cm Innendeckungen bei Holzdeckungen. Das wird nirgendwo kontrolliert. Aus eigener Erfahrung habe ich erst kürzlich bei Barockdachstühlen gesehen, dass diese in zweiter Ebene ausgebaut werden. Da reden wir von 400 Jahre alten Mauerbänken, die hinter den Dämmungen zerstört sind. Es geht hier also um das Risiko der Anwendung.

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Schuh: In Österreich wird mit 20 Grad Normtemperatur gerechnet; da muss man auch ein Normmensch sein, dass man dann die Heizung aufdreht. Eine aktuelle Studie belegt, dass sich Frauen im Durchschnitt aber 2 Grad mehr Raumwärme wünschen ...

Publikums-Statement: Ich hätte gerne gewusst, wer überhaupt kontrolliert - nicht nur den Energieausweises, sondern auch die Firmen, die dämmen. Bei der Dämmung kann man so viel falsch machen ... Ich habe es als Laie nach mehreren Monaten des Kampfes geschafft, dass eine ganze Fassade wieder abgerissen wurde. Sehe ich mir heute beliebige Wiener Baustellen an, sehe ich ähnliche Fehler immer wieder. Niemand kontrolliert das, nach fünf oder zehn Jahren erkennt man dann, welche Fehler gemacht worden sind. Und wer bezahlt das dann?

Nussbaum: Es wird halt etwas vorgerechnet und das Beispiel mit dem Benzin war ganz gut. Wir kaufen ja dennoch die Autos und sind dann verärgert, wenn der angegebene Verbrauch in keinster Weise eingehalten wird. Ich denke, dass in die Grundlagen zur Energieausweisberechnung andere Massstäbe gehören.

Hecht: Wenn es dann besser wird, bitte gerne. Das jetzige Instrument sehe ich nicht als Fehler. Die Antwort auf die Frage aus dem Publikum lautet: Es kontrolliert niemand. Da sind wir beim Lieblingszitat eines Kollegen: „Wir befinden uns beim Bau im Bermuda-Dreieck. Wir haben die Kosten, die Zeit und die Qualität. Und wenn eins von den dreien nicht funktioniert, dann plumpst jemand in dieses Bermuda-Dreieck und der ist dann weg". Deswegen ist die Frage auf jeden Fall berechtigt ... Wir versuchen, dem durch entsprechende Schulungsmaßnahmen entgegenzuwirken und dann zu zertifizieren. Aber wir haben rund 1400 zertifizierte Facharbeiter in Österreich und somit bleibt ein riesiges Potenzial an nicht entsprechend qualifizierten Leuten. Und die sagen dann (auch), wir machen es billiger ... - eine klassische marktwirtschaftliche Situation!

Nussbaum: Im Endeffekt wird die Gewerbeordnung immer weiter aufgeweicht. Leute aus Polen, Ungarn oder Slowenien haben sechs Monate am Bau gearbeitet und erhalten dann ein Meisterprüfungszeugnis - zumindest übersetzt der Dolmetscher das so.

Sima: Die Qualitätsgruppe deckt ja in Österreich bei den Wärmedämmverbundsystemen rund 80 bis 90 Prozent des Marktes ab. Weshalb verkaufen Sie Ihre Produkte nicht ausschließlich an zertifizierte Verarbeiter?

Hecht: Diesen Vorschlag werde ich gerne weitergeben. Wenn wir nun aber beim zertifizierten Personal und beim Rechnen und Kalkulieren sind, bekomme ich mit „meinen" Herstellern Probleme.

Schuh: Außerdem bekommt man das juristisch nicht durch.

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Publikums-Statement: Ich repräsentiere ein Unternehmen der Qualitätsgruppe. Würden wir nur zertifizierte Firmen beliefern, bekämen wir EU-rechtliche Probleme und würden außerdem eine Zwei-Klassen-Gesellschaft kreieren. Somit würden wir Umsatz verlieren und dem Markt trotzdem nicht helfen. Herr Hecht hat die drei wesentlichen Komponenten angesprochen: Qualität, Zeit und den Anspruch des Hausbesitzers. Bei der Qualität rühmt sich jeder damit, ob er den Quadratmeter um 20 Cent billiger bekommt - und damit fangen die Probleme an.

Schuh: Und wir vergessen, dass die Verarbeiter vor Ort improvisieren (müssen). Wer plant denn schon eine Vollwärmeschutzfassade? Wer gibt denn Geld aus für einen Planer, der bauphysikalisch abcheckt, was wie wohin gehört und welche Fenster verwendet werden? Wir kommen da auch zum großen Thema „Sanierungscheck", dem angeblichen Wirtschaftsmotor - das Schlimmste, was es überhaupt gibt. Und dann fliegen die Kastenfenster raus ...

Sima: Ja, leider. Meiner Meinung nach sollten viel mehr Fenster repariert werden. Die historischen Kastenfenster wurden ja mit enormer Qualität erzeugt, die sind einfach zu reparieren, das Tischlereigewerbe müsste aufspringen. Erkennt man den Wert der Bausubstanz - und wir sind in einem Land, wo der Bau den Wert der Kulturlandschaft ausmacht -, sollte das Thema Sanierung richtig aufgegriffen werden. Man muss einfach mit mehr Verantwortungsgefühl herangehen!

Nussbaum: Und weshalb springen die Tischler nicht auf? Wenn sie das 100 Jahre alte Kastenfenster sanieren, ist das neue Kunststofffenster doch günstiger und die Behaglichkeit eine andere. Das ist das Problem. Das Tolle am Bundesdenkmalamt ist die Patenrolle für die guten, alten Häuser - und für die Kastenfenster. Ein richtiger Ansatz wäre ein wirklich neutraler Schutzpatron für die Häuser, der keine Rücksicht auf Erdölprodukte zu nehmen braucht, auch über ökologische Belange nachdenkt und dann sagt, was bei einem Haus richtig und gut ist. Vermutlich muss das die Politik lösen.

Sima: Sieht man nun von den denkmalgeschützten Gebäuden und von denen mit Stuckfassaden ab, stellt sich für mich die Frage, weshalb so wenig gedämmt wird. In Österreich haben wir eine Fassadensanierungsquote von 1 bis 1,5 Prozent, je nachdem wie Sie es rechnen wollen. Die Fenstersanierungsquote beträgt hingegen rund 3 Prozent. Warum schaffen nun die Fenster-Repräsentanten, was die Fassadenleute nicht schaffen? Das hat mit der integrierten Wertschöpfungskette zu tun. Fenster werden in Österreich zu etwa 50 % direkt von den Herstellern verkauft, die anderen 50 % über Dachhändler als Partner der Fensterindustrie. Da entsteht ein Vertriebsdruck, den wir bei der Fassade nicht haben, denn die macht ein Maler oder ein Baumeister, der auch andere Produkte verkaufen kann. Es wäre also sowohl im Sinne der Qualität wie auch einer höheren Sanierungsquote, wenn die Geschäftsmodelle der Industrie überdacht werden und man sich die Fensterindustrie als Vorbild nimmt.

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Publikums-Statement: Ein großes Problem sehe ich im Wohnrecht. Ein Fenster kann man tauschen, wo auch immer es gekauft wurde; bei der Fassade aber ist ein Beschluss erforderlich und das ist mit Kosten verbunden. Da spielen auch Generationsprobleme eine wichtige Rolle - ältere Menschen wollen nach 30 Jahren kaum eine Änderung.

Und noch etwas: Was passiert mit der Styropordämmung in 50 oder 100 Jahren? Welche Recyclingmethoden bieten sich an bzw. wer übernimmt das?

Hecht: Selbstverständlich hält ein Wärmeverbundsystem fünfzig Jahre. Wenn ich ein Gebäude qualitativ hochwertig errichte, es auch pflege und warte, funktioniert es auch über die Zeit - und die Nutzungsdauer ist eben so lange, wie das Gebäude steht. Das erste in Österreich verarbeitete Wärmeverbundsystem stammt aus dem Jahr 1966, das Gebäude steht noch heute und es hat bis heute nur einen neuen Anstrich erhalten. (pj) + + + Die SOLID-Talk-Experten+ Clemens Hecht, Sprecher der ARGE Qualitätsgruppe Wärmedämmsysteme im Fachverband der Stein- und Keramischen Industrie+ Günther Nussbaum, Bauherrenhilfe - ATV, Pfusch am Bau+ Architekt Johannes Sima, Bundesdenkmalamt, Abteilung für Architektur und Bautechnik+ Architekt Winfried Schuh, Experte für Bauphysik, Hausverstand.Com + + + „Wärmedämmverbundsysteme können durchaus 50 Jahre die versprochenen Dienste leisten."Clemens Hecht, ARGE Qualitätsgruppe Wärmedämmsysteme „Ich bin davon überzeugt, dass die meisten Dämmmaßnahmen ohne fachkompetente Planung durchgeführt werden."Architekt und Bauphysiker Winfried Schuh

© Michael Hetzmannseder
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