Interview : "Der Gärtner ist der letzte am Bau"

Das Haus in der Favoritenstraße Nummer 50 war schon vieler Gedanken Geburtsstätte. Hier befindet sich einer der ersten Dachgärten Wiens, der vor etwa 30 Jahren der Dachfläche schönes, grünes Leben einhauchte. Bürohund Kora kann hier zwischen den Pflanzen herumtollen. „Im Sommer wird man besser sehen können, wie viele der Dächer begrünt sind“, sagt Susanne Formanek mit einem Blick auf die graue Umgebung. „Aber viel wird es nicht sein.“ Eine Wendeltreppe tiefer liegt das Büro von GrünStattGrau. Auch hier werden einige grüne Themen zum ersten Mal in Wien so richtig angegangen.

Der Begriff „nachhaltig“ wird heute beinahe schon inflationär benutzt. Ab wann ist etwas tatsächlich nachhaltig?

Susanne Formanek: Wenn man den Grundbegriff verwendet, so wie er aus der Forstwirtschaft kommt, dann bezeichnet das einfach alles, was wieder nachwächst. Nachwachsende Rohstoffe wie Holz und Stroh sind nachhaltig. Viele Gebäudesysteme sind das auch schon. In dem Fall bedeutet das dann, dass das ganze Gebäude in seinem Lebenszyklus, in seiner Wartung und Wiederverwendung sehr gut durchdacht ist. Energieeffizienz ist ein Teilbereich davon, doch sie bedeutet nicht Nachhaltigkeit. Dämmstoffe sind immer noch teurer, wenn sie aus nachhaltigen Rohstoffen kommen. Ein energieeffizientes Gebäude ist daher oft nicht nachhaltig.

Die Energieeffizienz hängt zu einem großen Teil auch von der Nutzung ab. Wie kann man hier den Verbraucher involvieren?

Susanne Formanek: Das geht natürlich zum einen über das Sichtbarmachen des Energieverbrauchs durch Smart Meter beispielsweise. Das Optimum ist aber „Nudging“, bei dem man die Nutzerin oder den Nutzer dazu bringt, ohne dass es diese merken, etwas Positives beizusteuern - zum Beispiel die Stiegen zu nehmen und nicht den Aufzug.

Funktioniert Nudging gut in Österreich?

Susanne Formanek: Noch gar nicht.

„Ich möchte einen Beitrag für zukünftiges menschengerechtes Leben leisten.“ Das Zitat ist von Ihnen. Was ist denn nun in Ihrer Definition menschengerecht?

Susanne Formanek: Intuitiv ist menschengerecht. Wenn ein Gebäude ohne viele Erklärungen genutzt werden kann, also low-tech, barrierefrei und gendergerecht.

Vorausblickend würde umweltgerecht auch menschengerecht bedeuten, weil wir alle von umweltgerechten Gebäuden profitieren.

Susanne Formanek: Natürlich.

Wie könnte das der Öffentlichkeit kommuniziert werden?

Susanne Formanek: Am besten ist immer: vorleben. Das machen wir ja auch bei GrünStattGrau. Und die einzige Möglichkeit, das zu tun, ist, viele Demonstrationsprojekte zu starten. Wenn die Menschen dann einmal wieder den Zugang zur Natur in der Stadt haben, werden wir das zu schätzen wissen. Wir sind hier gerade noch im Aufbau. Aber zum Beispiel wollen wir mit einigen Projekten im Kreta-Viertel, wo sehr wenig Grün ist, in den nächsten fünf Jahren 20 Prozent des Raumes begrünen. Da geht es viel um Fassadenbegrünung, aber wir überlegen auch gerade, wie man die Straßenräume dafür nützen könnte. Unser Projekt wird zeigen, wie stark die Begrünung das Mikroklima verändern kann.

Fassaden- und Dachbegrünung sind natürlich ästhetisch auch ansprechend. Verfolgen Sie mit Ihren Projekten auch andere Formen, mit der Verbesserung des städtischen Mikroklimas dem Klimawandel entgegenzuwirken?

Susanne Formanek: Mit Unternehmen und Wissenschaftern werden wir uns überlegen, wie man Technologien und Dienstleistungen weiterentwickeln kann. Wir haben an die 300 Partner hinter unserem Innovationslabor. Das ist die eine Seite – die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft. Dann gibt es noch den sozialen Aspekt. Hier bekommen wir das Know-how von unserer Partnerfirma tatwort.

Welches soziale Know-how ist das?

Susanne Formanek: Wir fokussieren uns auf den Bestand. Neubau ist leicht, aber ein altes Gebäude klimawandelgerecht zu sanieren, dass es auch noch das Mikroklima beeinflusst, das ist eine Herausforderung. Und dafür brauchen wir die Akzeptanz der Bevölkerung. Die müssen wir von Anfang an einbinden. Das habe ich immer schon kritisch betrachtet – dass jeder in der Bauwirtschaft immer nur seinen kleinen Teil sieht. Das muss alles gemeinsam passieren, mit der Bevölkerung, der Politik und auch der Wohnbauförderung.

Der Wohnbauförderung wird derzeit sowieso von vielen Seiten Reformbedarf nachgesagt.

Susanne Formanek: Die Verantwortlichen der Wohnbauförderung sagen immer, sie sind nur für den Neubau zuständig. Was wäre denn mit einer Wohnbauförderung für den Bestand? Man sagt, wenn bei einer Altbau-Sanierung 75 Prozent der Kosten eines Neubaus erreicht sind, dann zahlt sich die Sanierung nicht mehr aus. Aber da muss man sich fragen: was kostet es eine Gemeinde, wenn zwei Häuser in der Ortsmitte leer stehen?

Kommen wir zurück zu Ihren 300 Partnern. Ein Großteil davon sind Unternehmen. War es leicht, die an Bord zu holen?

Susanne Formanek: Also zugelaufen sind uns nicht alle. Durch unsere Medienpräsenz kommen nun auch schon viele Unternehmen zu uns. Als wir mit GrünStattGrau begonnen haben, haben wir mal die Techniker mit den Landschaftsplanern zusammengebracht und so ein kleines Netzwerk aufgebaut. Dass hinter unseren Ideen aber ein viel größerer Markt steht, das wussten wir aus dem Ausland. In Frankreich zum Beispiel gibt es andere Bau- und Brandschutzverordnungen, dort ist die Begrünung von Fassaden schon viel präsenter. Deswegen waren wir uns sicher, dass viele österreichische Firmen sich für diesen Markt interessieren würden. Wir haben aber viele Firmen bei uns, die sich am Anfang nicht vorstellen konnten, was sie mit dem Thema am Hut haben könnten.

Viele Unternehmen hätten sicher Interesse an dem Thema, wagen aber den Schritt nicht. Andere werden sich nie dafür interessieren. Haben Sie manchmal das Gefühl, für jeden Ihrer Vorwärtsschritte macht Ihre Umgebung zwei Schritte rückwärts?

Susanne Formanek: Ja, leider. Das Umweltbewusstsein in Österreich war einmal revolutionär, momentan steht es still. Unser Energieverbrauch steigt. In Wien gibt es jeden Sommer mehr Hitzetage. Wir haben eine Sanierungsrate von 0,8 Prozent. Optimal wären drei Prozent. 60 Prozent unseres Energieverbrauches gehen auf Gebäude zurück. Wir müssen also schleunigst etwas im Gebäudebereich tun.

Sie meinen konkret die Begrünung.

Susanne Formanek: Ja, nur da gibt es Probleme. Der Gärtner ist der letzte am Bau. Das für die Begrünung eingeplante Budget ist dann oft nicht mehr vorhanden, obwohl dieser Teil meistens nur ein Prozent der Gesamtbaukosten ausmacht. Auch in neuen Projekten gibt es daher oft mehr Asphalt, als im Masterplan zu sehen war. Es bräuchte eine Art abgesperrtes Budget extra dafür. Auch in den Ausschreibungen müsste das berücksichtigt werden.

Wann werden Häuser in Wien ganz anders aussehen?

Susanne Formanek: Puh. Ganz anders? Wien ist so eine traditionelle, historisch gewachsene Stadt. Wir werden einfach nie die Gründerzeithäuser mit einer Dämmung zupflastern. Da können wir also nur in die Innenraumbegrünung gehen. Gebäude werden in Zukunft eine Multifunktionsrolle übernehmen. Das könnten dann unsere Gründerzeitengebäude auch schaffen, als Energieerzeuger, Energiespeicher und Lebensraum, sowie Ressourcenspeicher und, was auch ganz wichtig ist, als Grundversorger. Ich würde sagen, in 50 Jahren könnten die Häuser in Wien anders aussehen. In anderen Ländern wird man schon in 15 Jahren einen Unterschied zu heute bemerken.

Wenn sich also etwas in Wien ändert, dann in den Häusern, aber nicht äußerlich?

Susanne Formanek: Nicht einmal die Seestadt Aspern ist wirklich grün. Das muss man ganz kritisch betrachten. Die Baugruppen sind ökologisch gebaut, das ist sehr gut. Aber es wurde gesagt, die Seestadt würde ganz anders werden. Das ist sie nicht. Gebäude werden zwar nicht ganz anders aussehen, aber sie werden schon in kurzer Zeit komplett erweiterte Funktionen übernehmen.

Susanne Formanek studierte Holzwirtschaft an der Universität für Bodenkultur in Wien. Im Januar 2018 wurde sie von der FEMtech-Jury zur Expertin des Monats gewählt.