Venezuela : Das Ende des "Hochhauses der Armen"

Caracas
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Sieben Jahre lang haben sich mehr als 1.100 Familien ihr Leben im "Torre de David" eingerichtet. Der "Turm von David" wurde auch "höchster Slum der Welt" genannt. Seit Ende Juli räumen die Behörden nun das 190 Meter hohe Gebäude, das der drittgrößte Wolkenkratzer in Venezuelas Hauptstadt ist. Seine Bewohner werden in Wohnanlagen in Vorstädten von Caracas umgesiedelt.

Bisher sind rund ein Drittel der Familien ausgezogen. Später sollen die Gemeindeleiter und die Regierung entscheiden, ob das Gebäude abgerissen wird.

Der Bau mit seinen Glasfassaden, dem Hubschrauberlandeplatz und zehn Parkhausgeschoßen war 1990 als Finanzzentrum entworfen worden. Seinen Spitzname erhielt es nach seinem Erschaffer, Investor David Brillenbourg. Doch die Finanzkrise Mitte der 90er-Jahre und der Tod Brillenbourgs führten zum Baustopp. Das unfertige Haus ging in Staatsbesitz über, rottete vor sich hin, ein Verkauf scheiterte. 2007 besetzten obdachlose Familien 28 der 45 Stockwerke.

"Ich kam vor fünf Jahren ins Stockwerk sieben. Mein Traum war es, eine eigene Wohnung zu haben. Jetzt muss ich ein neues Leben anfangen", erzählt die dreifache alleinerziehende Mutter Amanda Garcia. Der Handwerker Robinson Medina, auch seit fünf Jahren da, sagt: "Ich fühle Nostalgie. Was man machen kann? Wir gehen in ein anderes Viertel und werden uns das Leben dort nochmal einrichten."

Die Bewohner arrangierten sich mit unfertigen Mauern, geländerlosen Treppen und dem mühsamen Aufstieg ohne Lift. Sie bauten ein Wasser- und Stromsystem auf, legten Gärten an, richteten einen Kindergarten und eine Kirche ein. Motorollerfahrer organisierten einen Taxi-Dienst über die Zufahrten des Parkhauses bis in die 20. Etage.Der riesige Komplex war eine Stadt in der Stadt. Im Alltag durften nur seine Bewohner den Turm betreten. Um den rankten sich bald viele Legenden, die die Einwohner stets bestritten. Jenseits der Gefahren des Rohbaus lebten sie mit dem Stigma, in einer Zuflucht für Verbrecher zu hausen.

Die umgesiedelten Familien sind ohne Groll ausgezogen. Gratis war das Leben im "Torre" nicht: Wer dort wohnen wollte, zahlte für das "Recht auf Gemeinschaftseigentum" 200 Bolivares im Monat (etwa 24 Euro) an eine Kooperative. Die letzten Zuzügler vor eineinhalb Jahren mussten sich oberhalb der 25. Etage einquartieren. "In den ersten Stockwerken lebten sie wie die Könige", erzählt der Installateur Jose Arrieta.Die Räumung begründete der zuständige Minister Ernesto Villegas nun mit der mangelnden Sicherheit. Aber er wies Berichte zurück, dass bereits 80 Menschen in dem Gebäude in den Tod gestürzt seien. Villegas leitete die Räumungsaktion, in der das Militär die ersten Familien und ihre Habseligkeiten in Vororte der Tuy-Täler brachte.

Harmonisch und einvernehmlich sei das bisher verlaufen. "Diejenigen, die sich noch nicht entschlossen haben, wurden in untere Etagen umgesiedelt", sagte Villegas. In den leeren Etagen ließ er die Türen verschweißen, um neue Besetzungen zu verhindern. Was zurückbleibt, sind religiöse Sprüche an den Wänden wie "Gott liebt dich" oder riesige Bilder - häufig mit dem Konterfei des 2013 gestorbenen Regierungschefs Hugo Chavez, den besonders viele Arme verehrten.

Abseits von Kriminalität und Unfällen erfuhr der Turm Aufmerksamkeit als Drehort für die US-Serie "Homeland". 2012 fand die Initiative der Bewohner sogar Anerkennung bei der Biennale in Venedig. Aber selbst die Architekten, die das Projekt vorstellten, sprachen von seiner "unüberwindbaren" Struktur, nicht nur für die Polizei.Was passiert also mit dem "Torre de David", wenn ihn alle Einwohner in einigen Wochen verlassen haben? Nach Angaben von Venezuelas Präsident Nicolas Maduro läuft bisher alles auf Abriss hinaus. Er hegt keine Nostalgie. "Es ist ein verlassener Ort aus der Zeit der Insolvenz der Banken, die in der neoliberalen Zeit das Land ausplünderten und den Turm halbfertig daließen", sagte er.

Für die oppositionelle Abgeordnete Dinorah Figuera ist der "Torre" ein Ausdruck für etwas anderes: dafür, wie nachlässig die Regierung mit der Wohnsituation in der Hauptstadt umging. "Hier sind beklagenswerte Vorfälle wie Mord, Vandalismus, Besetzung passiert, um Wohnraum zu improvisieren - das alles unter den Augen der Regierung." (APA)