SOLID 10/2016 : Behinderungsmehrkosten - das heiße Eisen auf der Großbaustelle
Zu den herausforderndsten Aufgaben zählt sicherlich die kompetente Begründung und korrekte Bezifferung von behinderungsbedingten Mehrkostenforderungen ("Leistungsstörungen"). Wie sich in der bauanwaltlichen Praxis mit zunehmender Tendenz zeigt, bereitet insbesondere die "Nachweisführung" derartiger Mehrkosten praktische Probleme, wobei die kontroversiellen Diskussionen zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern diesbezüglich durchaus in bauwirtschaftliche und juristische Schwerpunkte unterteilt werden sollten. Gelegentlich hat man dabei durchaus den Eindruck, dass die von Auftraggebern zeitweise geforderte Nachweisführung eine Sisyphusaufgabe darstellt: nämlich eine fast sinnlose und dabei schwere Tätigkeit ohne absehbares Ende. Bauwirtschaftliche Nachweisführung und Plausibilität Einige Auftraggeber stellen an die in Nachtragsverhandlungen geforderte "bauwirtschaftliche Nachweisführung", zB hinsichtlich der Kausalität behinderungsbedingter Produktivitätsverluste, zum Teil geradezu abstrus hohe Anforderungen: War vor nicht allzu langer Zeit noch die "Plausibilisierung" (oder "schlüssige" Darstellung) behinderungsbedingter Produktivitätsverluste ausreichend, so werden neuerdings immer öfter lückenlose, ja geradezu auf einzelne Handgriffe und Arbeitsabläufe heruntergebrochene Kausalketten zwischen behindernden Ursachen und deren kosten- und zeitmäßigen Auswirkungen gefordert. Vereinzelt wird von Auftragnehmern insistierend der "volle Beweis" für – von der Bauwirtschaft selbst entwickelte und formelhaft zu berechnende – prozentuelle Produktivitätsabschläge eingemahnt. Die in der Folge von den Auftragnehmern immer aufs Neue an den Bauherrn herangetragenen Unterlagen gleichen frappierend jenem berühmten Felsblock aus der griechischen Mythologie, den Sysiphos ewig einen Berg hinaufwälzen muss, der, fast am Gipfel, jedes Mal wieder ins Tal rollt. Aus juristischer Sicht stellt sich da schon die Frage: Muss das wirklich sein, das mit dem Stein? Das juristische Regelbeweismaß Sollten sich die Vertragsparteien – trotz aller Beweismühen – dann doch noch ohne einen Richter (und seinen Sachverständigen) einigen können, wird ohnehin alles gut. Falls aber nicht, gelten das relevante Beweismaß vor Gericht betreffend wohl andere Regeln, als in der teilweise angewandten bauwirtschaftlichen Praxis: Nämlich jene der Zivilprozessordnung (ZPO) und der dazu ergangenen oberstgerichtlichen Rechtsprechung. Dort ist auch an den Kausalitätsbeweis das Regelbeweismaß der ZPO anzulegen. Darunter versteht man eine hohe, nicht jedoch eine an Sicherheit grenzende, Wahrscheinlichkeit Es bedarf also grundsätzlich keiner an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit – wie es der "volle Beweis" suggerieren würde, dass eine bestimmte behindernde Ursache zu einer vorgebrachten Kostenfolge oder einer Bauzeitverlängerung führt. Es genügt daher, dass sich ein Sachverständiger angesichts sämtlicher vorgebrachter Umstände ein plausibles Bild von der Kausalkette machen kann und die bauwirtschaftliche Verbindung zwischen Behinderung(en) und Auswirkung(en) aufgrund seiner einschlägigen Erfahrung als mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben attestiert. Es ist also aus rechtlicher Sicht nicht nötig dem Bauunternehmer das Schicksal des Sysiphos: „Und weiter sah ich den Sisyphos in gewaltigen Schmerzen: wie er mit beiden Armen einen Felsblock, einen ungeheuren, fortschaffen wollte. Ja, und mit Händen und Füßen stemmend, stieß er den Block hinauf auf einen Hügel. Doch wenn er ihn über die Kuppe werfen wollte, so drehte ihn das Übergewicht zurück: von neuem rollte dann der Block, der schamlose, ins Feld hinunter. Er aber stieß ihn immer wieder zurück, sich anspannend, und es rann der Schweiß ihm von den Gliedern, und der Staub erhob sich über sein Haupt hinaus.“ Fazit/Tipps An die juristische Nachweisführung von Mehrkostenforderungen sind stets hohe Anforderungen zu stellen. Sowohl die rechtliche Begründung als auch die bauwirtschaftliche Einreichung der Höhe nach haben vertragskonform auf Preisgrundlagenbasis und nachvollziehbar zu erfolgen.Die Kausalität zwischen behinderungsbedingten Ursachen aus der vertraglichen Sphäre des Auftraggebers und den monetären und zeitlichen Auswirkungen auf Seiten des Auftragnehmers ist vom Auftragnehmer zu behaupten und zu beweisen.Die in der bauwirtschaftlichen Praxis gelegentlich bis in allerletzte Detail geforderte Nachweisführung unterscheidet sich von dem vor Gericht relevanten Regelbeweismaß, welches den Regeln der ZPO folgt. Gemäß oberstgerichtlicher Rechtsprechung zur ZPO genügt als Regelbeweismaß eine "hohe Wahrscheinlichkeit" des Kausalzusammenhangs zwischen Ursache und Wirkung. Mag. Wolfgang Müller leitet die Praxisgruppe Immobilien- und Baurecht von Wolf Theiss, sowie das Baurechtsteam der Kanzlei. Er ist als einer der österreichischen Top-Anwälte in diesem Gebiet bekannt und regelmäßig in komplexe internationale Bau- und Entwicklungsprojekte involviert. Müller ist Mitglied der Österreichischen Gesellschaft für Baurecht (ÖGEBAU) und der Österreichischen Gesellschaft für Geomechanik (ÖGG), Autor einer Vielzahl von Büchern und Beiträgen über Baurecht und geprüfter FIDIC Adjudicator (VBI / FIDIC). [1] Homer: Odyssee 11. Gesang, 593–600; Übersetzung Wolfgang Schadewaldt