SOLID 10/2018 : Baurecht: Rücktritt bei Leistungsänderung?

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Bereits im vorvertraglichen Stadium schulden sich potenzielle Vertragspartner erhöhte Sorgfaltspflichten und damit unter Umständen auch die Erteilung von Informationen. Beispielsweise müssen Vertragspartner auf Nachfrage wahrheitsgemäß Auskünfte erteilen und gegebenenfalls den anderen Vertragspartner bei allfälligen Fehlvorstellungen aufklären. Das österreichische Zivilrecht sieht jedoch keine allgemeine Pflicht vor, den jeweils anderen Vertragspartner über sämtliche relevanten Umstände aktiv zu informieren.

Informationspflichten bei Verbrauchern

Anders bei Verbrauchergeschäften: Bevor ein Konsument durch einen Vertrag oder seine Vertragserklärung gebunden ist, muss der Unternehmer dem Verbraucher in klarer und verständlicher Weise eine Reihe von vertragsbezogenen Informationen erteilen. Zum Beispiel muss er den Konsumenten über wesentliche Eigenschaften der Ware, Gewährleistungsrechte, Kontaktdaten des Unternehmens sowie Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen informieren (§ 5a Abs 1 Konsumentenschutzgesetz – KSchG).

Diese Informationen müssen jedoch dann nicht erteilt werden, wenn sie sich unmittelbar aus den Umständen ergeben. Ebenso sieht das Gesetz für bestimmte Verträge Ausnahmen vor. Die Informationspflichten gelten beispielsweise nicht für Verträge über den Bau von neuen Gebäuden, erhebliche Umbaumaßnahmen an bestehenden Gebäuden oder die Vermietung von Wohnraum. Zu beachten ist aber, dass Werkverträge von diesen Informationspflichten per se nicht ausgenommen sind.

Vertragsabschlüsse im Fernabsatz und außerhalb von Geschäftsräumen

Bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (zB Bestellung im Internet, per E-Mail oder telefonisch) und bei Verträgen, die außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers (zB in der Wohnung des Verbrauchers) zustande kommen, gelten sogar noch höhere Informationspflichten (Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetz – FAGG).

Bevor der Verbraucher durch einen Vertrag gebunden ist, muss ihn der Unternehmer – zusätzlich zu den bereits genannten allgemeinen Informationspflichten (vgl § 5a KSchG) – auch noch über einige weitere Umstände informieren (§ 4 FAGG). Darunter fallen insbesondere Informationen über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rücktrittsrechts (§§ 11 und 18 FAGG). Bei Handwerkerverträgen gelten jedoch unter gewissen Bedingungen (u.a. Entgelt bis max. 200 Euro) vereinfachte Informationspflichten. Nicht unter den Anwendungsbereich des FAGG fallen unter anderem Verträge über den Bau von neuen Gebäuden oder erhebliche Umbaumaßnahmen an bestehenden Gebäuden, die mit einer Neuerrichtung vergleichbar sind.

Rücktrittsrecht und Rücktrittsfrist

Der Verbraucher kann von einem Fernabsatzvertrag oder einem außerhalb der Geschäftsräume geschlossenen Vertrag binnen 14 Tagen ohne Angabe von Gründen zurücktreten. Ist der Unternehmer seiner Informationspflicht nicht nachgekommen, verlängert sich diese Rücktrittsfrist um 12 Monate.

Die Frist zum Rücktritt beginnt bei Dienstleistungsverträgen mit dem Tag des Vertragsabschlusses und bei Verträgen, die auf den entgeltlichen Erwerb einer Ware gerichtet sind, grundsätzlich mit dem Tag, an dem der Verbraucher den Besitz an der Ware erlangt. Tritt der Verbraucher vom Vertrag zurück, erfolgt die Rückabwicklung des Vertrags.

Das Rücktrittsrecht des Verbrauchers ist jedoch u.a. bei Verträgen über dringende Reparatur- oder Instandhaltungsarbeiten, bei denen der Verbraucher den Unternehmer ausdrücklich zu einem Besuch zur Ausführung dieser Arbeiten aufgefordert hat, ausgeschlossen (§ 18 FAGG).

Rücktrittsrecht bei Leistungsänderungen?

Der OGH (4 Ob 28/18y) hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob das im FAGG geregelte Rücktrittsrecht auch bei Leistungsänderungen im Rahmen eines Einheitspreisvertrages zur Anwendung gelangt? Infolge von Zusatzaufträgen kam es bei einer Wohnungssanierung zu Kostenüberschreitungen. Der Auftraggeber (AG) weigerte sich das vom Auftragnehmer (AN) geforderte zusätzliche Entgelt zu zahlen und erklärte unter Berufung auf das FAGG den Rücktritt von den Zusatzaufträgen.

Die Voraussetzungen für die Anwendung des Rücktrittsrechts waren grundsätzlich gegeben: Der AG war Verbraucher, der Rücktritt wurde rechtzeitig erklärt (der AN hatte den AG über das Rücktrittsrecht nicht informiert und daher hat sich die Rücktrittsfrist um ein Jahr verlängert) und die Zusatzaufträge wurden auf der Baustelle, dh außerhalb der Geschäftsräume des AN, erteilt.

Fraglich war im Wesentlichen nur das Verhältnis zwischen dem Hauptauftrag und den Leistungsänderungen. Der OGH ist unseres Erachtens richtigerweise zum Ergebnis gelangt, dass es sich bei den Zusatzleistungen, die im Rahmen des ursprünglichen Leistungsziels liegen, um keine gesonderten Verträge handelt. Hauptauftrag und Zusatzaufträge bilden somit einen einheitlichen Vertrag, der im gegenständlichen Fall zum Zwecke der Wohnungssanierung abgeschlossen wurde. Da der Hauptauftrag – im Unterschied zu den Zusatzaufträgen – in den Geschäftsräumen des AN zustande gekommen ist, lagen infolge der Einheitlichkeit des Vertrags die sachlichen Voraussetzungen für die Anwendung des FAGG und somit auch für die Ausübung des Rücktrittsrechts durch den AG nicht vor.

Die wichtigsten Tipps in Kürze

Verbraucher können unter bestimmten Umständen von einem Fernabsatzvertrag oder einem außerhalb der Geschäftsräume geschlossenen Vertrag (zB auf der Baustelle) binnen 14 Tagen ohne Angabe von Gründen zurücktreten. Der Unternehmer hat den Verbraucher über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rücktrittsrechts zu informieren. Darüber hinaus hat der Unternehmer Informationen über die Bedingungen, die Fristen und die Vorgehensweise bei der Ausübung des Rücktrittsrechts zu erteilen und ein Muster-Widerrufsformular zur Verfügung zu stellen.

Bei Verletzung der zahlreichen gesetzlich normierten Informationspflichten drohen verwaltungsstrafrechtliche, wettbewerbsrechtliche und zivilrechtliche Folgen (u.a. Gewährleistung, Irrtumsanfechtung und Schadenersatz). Weiters verlängert sich bei Geschäften, die dem FAGG unterliegen, die 14-tägige Rücktrittsfrist um 12 Monate!

Leistungsänderungen, die im Rahmen des ursprünglichen Leistungsziels liegen, sind keine gesonderten Verträge. Vielmehr bilden Hauptauftrag und Zusatzaufträge einen einheitlichen Vertrag. Dies hat eine über das FAGG hinausgehende Bedeutung. Beispielsweise darf ein AG der vom AN die Verbesserung eines Mangels fordert, nur Zahlungen zurückhalten, die aus demselben Vertragsverhältnis geschuldet werden.

Über die Autoren:

Mag. Wolfgang Müller ist Partner bei Wolf Theiss und leitet das Immobilien- und Baurechtsteam der Kanzlei. Er ist als einer der österreichischen Top-Anwälte in diesem Gebiet bekannt und regelmäßig in nationale und internationale Bau- und Entwicklungsprojekte involviert.

Dr. Michael Müller, Bakk. ist Rechtsanwalt im Baurechtsteam der Wolf Theiss Rechtsanwälte und Generalsekretär der ÖGEBAU.