Finanzen : Analyse - die Zeit des billigen Geldes ist vorbei

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Die Währungshüter der Eurozone haben den Leitzins auf 1,25 Prozent erhöht - die Zeit des billigen Geldes ist also vorbei. - Experten erwarten noch heuer weitere Schritte - Trichet: Geldpolitik noch immer konjunkturstimulierendAls erste der großen westlichen Notenbanken hat die Europäische Zentralbank EZB im Kampf gegen steigende Preise die Zinswende eingeleitet. Die erste Erhöhung seit Ausbruch der Krise Unter dem Vorsitz von Präsident Jean-Claude Trichet beschloss der EZB-Rat einstimmig die erste geldpolitische Straffung seit Ausbruch der Welt-Finanzkrise. Mit der Erhöhung von 1,0 auf 1,25 Prozent ist das seit Mai 2009 geltende rekordniedrige Zinsniveau Vergangenheit. Die USA, Großbritannien und die Schweiz bleiben hingegen auf Niedrigzinskurs. Die Währungshüter in Frankfurt könnten trotz der Flucht Portugals unter den Euro-Rettungsschirm schon bald nachlegen: "Die Geldpolitik ist immer noch konjunkturstimulierend", sagte Trichet und ließ damit eine Hintertür für eine weitere Straffung offen.Der deutsche Aktienmarkt und der Euro legten nach der Zinserhöhung leicht zu. An den Märkten wird bereits damit gerechnet, dass der Zielsatz für Zentralbankgeld bis Ende des Jahres auf 1,75 Prozent steigen wird. Die Angst der Notenbanker vor "Zweitrundeneffekten" Den Notenbankern in Frankfurt sitzt vor allem die Furcht im Nacken, dass der Inflationsdruck in wirtschaftlich prosperierenden Ländern der Euro-Zone wie Deutschland eine Lohn-Preis-Spirale - im Fachjargon Zweitrundeneffekte - auslösen könnte. "Es ist von entscheidender Bedeutung, dass inflationäre Zweitrundeneffekte verhindert werden", sagte Trichet nach dem Zinsbeschluss. Die Notenbank beobachte diese Entwicklung "extrem wachsam".

Auf Reporterfragen hin ließ sich Trichet jedoch nicht in die Karten blicken: "Wir haben heute nicht entschieden, dass es die erste einer Serie von Zinserhöhungen war. Wir werden auch in Zukunft weiter die angemessenen Maßnahmen ergreifen, um Preisstabilität zu gewährleisten." "Einer weiteren Erholung steht nichts im Weg"Ökonom Holger Schmieding von der Berenberg Bank geht davon aus, dass die EZB nun auf Sicht fährt: "Nichts, was Trichet gesagt hat, steht einer weiteren Zinserhöhung im Juli im Weg. Er hat die Basis für weitere Zinsschritte gelegt, ohne sich konkret festzulegen." Auch Thorsten Polleit von Barclays Capital rechnet mit weiteren Erhöhungen. Sie kommen eher früher als später, sagte er Reuters Insider TV.Die Hüter des Euro reagieren mit ihrer Entscheidung früher auf den Inflationsdruck als die Notenbanken in London und Washington. Die Bank von England beließ den Leitzins trotz einer bedrohlich angeschwollenen Inflationsrate von 4,4 Prozent bei 0,5 Prozent, in den USA soll die Nullzinspolitik nach Ansicht des Fed-Führungsmitglieds Sandra Pianalto noch "lange Zeit" gelten. Abstand zum Schweizer Zinsniveau steigt Mit der EZB-Zinserhöhung steigt auch der Abstand der Euro-Zinsen zum Schweizer Zinsniveau auf einen vollen Prozentpunkt. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) strebt seit März 2009 einen Leitzins von 0,25 Prozent an. Trichet sieht die EZB trotz ihres Vorpreschens nicht in der Rolle eines Vorreiters: "Wir haben niemals das Gefühl gehabt, wir sollten als Nachzügler oder als Anführer fungieren."Angetrieben von hohen Rohstoff- und Nahrungsmittelpreisen war die Teuerungsrate in der Euro-Zone zuletzt auf 2,6 Prozent gestiegen und damit der Stabilitätsmarke der EZB von knapp zwei Prozent weit enteilt. Scharfe Kritik von deutschen Gewerkschaften "Angesichts des Inflationsdrucks ist die heutige Zinsentscheidung der EZB nachvollziehbar", sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Hans Heinrich Driftmann, zu Reuters. Scharfe Kritik kam dagegen vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). "Mit der Erhöhung des Leitzinssatzes befindet sich die EZB erneut auf einem geldpolitischen Holzweg", meinte Bundesvorstand Claus Matecki.

Österreichs Kammern reagierten mit Ablehnung auf den Zinsschritt der EZB. Für Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl ist es "das falsche Medikament". Die Inflation sei vor allem auf höhere Energie- und Rohstoffpreise zurückzuführen. Arbeiterkammer-Direktor Werner Muhm bezeichnete die Zinserhöhung als "Gift für Beschäftigung und Wachstum". SPÖ-Finanzstaatssekretär Andreas Schieder meinte, der Zinsschritt sei eine Reaktion auf Inflationstendenzen und "vom Niveau her nicht abnormal". Es sei kein Bremseffekt für die Wirtschaft zu erwarten, man könne das als Schritt am Weg zur Normalität sehen.Immer neue Opfer der Schuldenkrise Die EZB muss bei ihrer Geldpolitik auch berücksichtigen, dass an den Rändern der Euro-Zone die Schuldenkrise immer neue Opfer fordert: Nach Griechenland und Irland soll nun auch Portugal mit Finanzhilfen von EU und IWF vor einer Staatspleite bewahrt werden. Die Refinanzierung Portugals hatte sich zuletzt drastisch verteuert. Durch die Zinserhöhung wird auch das südwesteuropäische Land Mehrkosten tragen müssen, wenn es bei der Sanierung der Staatsfinanzen auf Kredite von außen angewiesen ist. Trichet erklärte, die EZB habe Portugal zu dem Hilfsgesuch ermutigt. Er machte zugleich deutlich, dass sich die Zentralbank bei ihrer Geldpolitik an der gesamten Eurozone orientieren müsse und nicht auf einzelne Länder Rücksicht nehmen dürfe: "Wir haben eine Botschaft für alle." (Reuters/APA/pm)